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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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gibt es eine Specialität, deren verblüffende Hoffart schon das Gebiet des Pathologischen streift: der Unfehlbarkeitsdünkel des Wagnertums. Der Leser darf unbesorgt sein: wir wollen die Sintflut der Wagner-Literatur nicht einmal um das Bruchstück einer polemischen Skizze vermehren. Die Frage, ob der hochmögende Schöpfer der Götterdämmerung wirklich der längstersehnte Messias der Kunst ist, für den er sich selbst aus vollgläubiger Seele gehalten hat, liegt weit ab von dem, was hier Gegenstand unsrer Betrachtung ist. Uns gilt es lediglich die Hervorhebung der conventionellen Rücksichtslosigkeit, mit der das Wagnertum überall und bei jeder Gelegenheit Andersdenkende auf's Schaffot schickt. Neben dem Dogmen-Trotz der kirchlichen und der socialdemokratisch-materialistischen Orthodoxie kenne ich kaum etwas Anmaßenderes, Einseitigeres und Intoleranteres, als den ächt in der Wolle gefärbten Wagner-Katholicismus. Im Kampfe mit diesen Privilegirten kommt, wie Juvenal sagen würde, kein Advokat und kein Marktschreier aus, ja nicht einmal eine Salondame. Jede noch so bescheidene Skepsis ist Barbarei oder Hochverrat: alles Uebrige, was die begnadetsten Meister in Klang und Wort, in Farben und Formen jemals hervorgebracht, hat nur insoweit Geltung, als mit jener Ur-Norm vereinbar ist. Sonst: überwundener Standpunkt, Unkunst; im besten Fall: ahnende Vorbereitung auf den Gewaltigen, der da vollenden sollte, Zurechtstimmen des unendlichen Saitenspiels für den großen Hineingreifer, messianische Weissagung. Man muß es gehört haben, mit welch' souveräner Geringschätzung erfolgreiche Interpreten der Wagner'schen Tonschöpfungen über die herrlichsten Meisterwerke nicht-wagner'scher Richtung witzeln und hohnlächeln, Meisterwerke, die für den unbefangnen Geschmack noch keineswegs abgewelkt, sondern

gibt es eine Specialität, deren verblüffende Hoffart schon das Gebiet des Pathologischen streift: der Unfehlbarkeitsdünkel des Wagnertums. Der Leser darf unbesorgt sein: wir wollen die Sintflut der Wagner-Literatur nicht einmal um das Bruchstück einer polemischen Skizze vermehren. Die Frage, ob der hochmögende Schöpfer der Götterdämmerung wirklich der längstersehnte Messias der Kunst ist, für den er sich selbst aus vollgläubiger Seele gehalten hat, liegt weit ab von dem, was hier Gegenstand unsrer Betrachtung ist. Uns gilt es lediglich die Hervorhebung der conventionellen Rücksichtslosigkeit, mit der das Wagnertum überall und bei jeder Gelegenheit Andersdenkende auf’s Schaffot schickt. Neben dem Dogmen-Trotz der kirchlichen und der socialdemokratisch-materialistischen Orthodoxie kenne ich kaum etwas Anmaßenderes, Einseitigeres und Intoleranteres, als den ächt in der Wolle gefärbten Wagner-Katholicismus. Im Kampfe mit diesen Privilegirten kommt, wie Juvenal sagen würde, kein Advokat und kein Marktschreier aus, ja nicht einmal eine Salondame. Jede noch so bescheidene Skepsis ist Barbarei oder Hochverrat: alles Uebrige, was die begnadetsten Meister in Klang und Wort, in Farben und Formen jemals hervorgebracht, hat nur insoweit Geltung, als mit jener Ur-Norm vereinbar ist. Sonst: überwundener Standpunkt, Unkunst; im besten Fall: ahnende Vorbereitung auf den Gewaltigen, der da vollenden sollte, Zurechtstimmen des unendlichen Saitenspiels für den großen Hineingreifer, messianische Weissagung. Man muß es gehört haben, mit welch’ souveräner Geringschätzung erfolgreiche Interpreten der Wagner’schen Tonschöpfungen über die herrlichsten Meisterwerke nicht-wagner’scher Richtung witzeln und hohnlächeln, Meisterwerke, die für den unbefangnen Geschmack noch keineswegs abgewelkt, sondern

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[19/0021] gibt es eine Specialität, deren verblüffende Hoffart schon das Gebiet des Pathologischen streift: der Unfehlbarkeitsdünkel des Wagnertums. Der Leser darf unbesorgt sein: wir wollen die Sintflut der Wagner-Literatur nicht einmal um das Bruchstück einer polemischen Skizze vermehren. Die Frage, ob der hochmögende Schöpfer der Götterdämmerung wirklich der längstersehnte Messias der Kunst ist, für den er sich selbst aus vollgläubiger Seele gehalten hat, liegt weit ab von dem, was hier Gegenstand unsrer Betrachtung ist. Uns gilt es lediglich die Hervorhebung der conventionellen Rücksichtslosigkeit, mit der das Wagnertum überall und bei jeder Gelegenheit Andersdenkende auf’s Schaffot schickt. Neben dem Dogmen-Trotz der kirchlichen und der socialdemokratisch-materialistischen Orthodoxie kenne ich kaum etwas Anmaßenderes, Einseitigeres und Intoleranteres, als den ächt in der Wolle gefärbten Wagner-Katholicismus. Im Kampfe mit diesen Privilegirten kommt, wie Juvenal sagen würde, kein Advokat und kein Marktschreier aus, ja nicht einmal eine Salondame. Jede noch so bescheidene Skepsis ist Barbarei oder Hochverrat: alles Uebrige, was die begnadetsten Meister in Klang und Wort, in Farben und Formen jemals hervorgebracht, hat nur insoweit Geltung, als mit jener Ur-Norm vereinbar ist. Sonst: überwundener Standpunkt, Unkunst; im besten Fall: ahnende Vorbereitung auf den Gewaltigen, der da vollenden sollte, Zurechtstimmen des unendlichen Saitenspiels für den großen Hineingreifer, messianische Weissagung. Man muß es gehört haben, mit welch’ souveräner Geringschätzung erfolgreiche Interpreten der Wagner’schen Tonschöpfungen über die herrlichsten Meisterwerke nicht-wagner’scher Richtung witzeln und hohnlächeln, Meisterwerke, die für den unbefangnen Geschmack noch keineswegs abgewelkt, sondern

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/21>, abgerufen am 29.03.2024.