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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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Gattung der Kunst, die vermöge des von ihr verwendeten Materials einmal den Sinnen unmittelbar schmeichelt, zweitens aber das Denken so gut wie gar nicht in Anspruch nimmt, so läßt sich a priori vermuten, diese Kunst werde unter sämmtlichen Concurrentinnen die größte Volkstümlichkeit besitzen. Das gilt denn thatsächlich von der Musik und innerhalb der Musik vom Gesang, der durch die Einfachheit seiner Mittel und durch das Mithereinspielen des Persönlichen, Individuell-Sinnlichen über die complicirtere Instrumentalmusik den Sieg davonträgt. Wer daran zweifelt, daß die Musik zunächst durch die Macht des Naturschönen und erst in zweiter Linie als Kunstschönes wirkt, der möge sich in's Gedächtniß rufen, daß harmonisch gegliederte Töne ihren Effekt aus Individualitäten ausüben, bei denen auch die dämmerndsten Schatten künstlerischen Verständnisses nicht vorausgesetzt werden können. Nicht nur Kinder im allerzärtesten Alter, nicht nur Wilde, nicht nur Cretins, nein, sogar Tiere unterliegen dem allgewaltigen Zauber des sinnlichen Wohllauts, wie denn bekanntlich die Araber ihre müde gewordenen Kameele durch den Klang eines Instruments zu neuer Leistungsfähigkeit anfeuern. Nur geben sich diese müde gewordenen Kameele nicht für Kunstkenner aus: das ist der ganze Unterschied zwischen ihnen und der Mehrheit des Publikums.

Das echte Verständniß für das Kunstschöne ist äußerst spärlich verbreitet. Es wird also, um den Forderungen der Mode und des ästhetischen Anstands Genüge zu leisten, einfach erheuchelt. Das aber ist oft mit einem Aufwand von Selbstbeherrschung verknüpft, der die Leute verstimmt. Einer Aufführung des Hamlet oder des Nathan beizuwohnen, bedeutet für zahllose "Kunstfrenude" eine Tortur. Bei ihrer

Gattung der Kunst, die vermöge des von ihr verwendeten Materials einmal den Sinnen unmittelbar schmeichelt, zweitens aber das Denken so gut wie gar nicht in Anspruch nimmt, so läßt sich a priori vermuten, diese Kunst werde unter sämmtlichen Concurrentinnen die größte Volkstümlichkeit besitzen. Das gilt denn thatsächlich von der Musik und innerhalb der Musik vom Gesang, der durch die Einfachheit seiner Mittel und durch das Mithereinspielen des Persönlichen, Individuell-Sinnlichen über die complicirtere Instrumentalmusik den Sieg davonträgt. Wer daran zweifelt, daß die Musik zunächst durch die Macht des Naturschönen und erst in zweiter Linie als Kunstschönes wirkt, der möge sich in’s Gedächtniß rufen, daß harmonisch gegliederte Töne ihren Effekt aus Individualitäten ausüben, bei denen auch die dämmerndsten Schatten künstlerischen Verständnisses nicht vorausgesetzt werden können. Nicht nur Kinder im allerzärtesten Alter, nicht nur Wilde, nicht nur Cretins, nein, sogar Tiere unterliegen dem allgewaltigen Zauber des sinnlichen Wohllauts, wie denn bekanntlich die Araber ihre müde gewordenen Kameele durch den Klang eines Instruments zu neuer Leistungsfähigkeit anfeuern. Nur geben sich diese müde gewordenen Kameele nicht für Kunstkenner aus: das ist der ganze Unterschied zwischen ihnen und der Mehrheit des Publikums.

Das echte Verständniß für das Kunstschöne ist äußerst spärlich verbreitet. Es wird also, um den Forderungen der Mode und des ästhetischen Anstands Genüge zu leisten, einfach erheuchelt. Das aber ist oft mit einem Aufwand von Selbstbeherrschung verknüpft, der die Leute verstimmt. Einer Aufführung des Hamlet oder des Nathan beizuwohnen, bedeutet für zahllose „Kunstfrenude“ eine Tortur. Bei ihrer

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[17/0019] Gattung der Kunst, die vermöge des von ihr verwendeten Materials einmal den Sinnen unmittelbar schmeichelt, zweitens aber das Denken so gut wie gar nicht in Anspruch nimmt, so läßt sich a priori vermuten, diese Kunst werde unter sämmtlichen Concurrentinnen die größte Volkstümlichkeit besitzen. Das gilt denn thatsächlich von der Musik und innerhalb der Musik vom Gesang, der durch die Einfachheit seiner Mittel und durch das Mithereinspielen des Persönlichen, Individuell-Sinnlichen über die complicirtere Instrumentalmusik den Sieg davonträgt. Wer daran zweifelt, daß die Musik zunächst durch die Macht des Naturschönen und erst in zweiter Linie als Kunstschönes wirkt, der möge sich in’s Gedächtniß rufen, daß harmonisch gegliederte Töne ihren Effekt aus Individualitäten ausüben, bei denen auch die dämmerndsten Schatten künstlerischen Verständnisses nicht vorausgesetzt werden können. Nicht nur Kinder im allerzärtesten Alter, nicht nur Wilde, nicht nur Cretins, nein, sogar Tiere unterliegen dem allgewaltigen Zauber des sinnlichen Wohllauts, wie denn bekanntlich die Araber ihre müde gewordenen Kameele durch den Klang eines Instruments zu neuer Leistungsfähigkeit anfeuern. Nur geben sich diese müde gewordenen Kameele nicht für Kunstkenner aus: das ist der ganze Unterschied zwischen ihnen und der Mehrheit des Publikums. Das echte Verständniß für das Kunstschöne ist äußerst spärlich verbreitet. Es wird also, um den Forderungen der Mode und des ästhetischen Anstands Genüge zu leisten, einfach erheuchelt. Das aber ist oft mit einem Aufwand von Selbstbeherrschung verknüpft, der die Leute verstimmt. Einer Aufführung des Hamlet oder des Nathan beizuwohnen, bedeutet für zahllose „Kunstfrenude“ eine Tortur. Bei ihrer

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/19>, abgerufen am 24.11.2024.