[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.Ich habe mir die Bezeichnung "Musikfreund" auf dem Titelblatt dieser Flugschrift wahrlich weder aus Ulk noch aus boshafter Ironie beigelegt. Eher aus Klugheit. Man muß die prinzipielle Musikfreundlichkeit seiner anima candida heutzutage gar scharf betonen, wenn man es unternimmt, Uebelstände zu rügen, die mit der göttlichen Kunst irgend wie im Zusammenhang stehen. Die Musikfanatiker fallen sonst über den Tadler her, wie die hungrigen Wölfe über ein Steppenroß und brüllen dabei aus vollem Halse: "Böotier!" Ganz besonders ist es die weitverbreitete Species der Kunstheuchler, die sofort ihr "Anathema sit!" auf den ruhigsten Mann schleudert, wenn er es bei Gelegenheit wagt, über gewisse Punkte seine Privatmeinung zu äußeren. Obschon ich also für den herausgesteckten "Musikfreund" Gründe der Vorsicht und der Selbsterhaltung nicht völlig in Abrede stelle, will ich doch hier ansdrücklich vor allen neun Musen den Eid darauf ablegen, daß die Bezeichnung vor Allem der Wahrheit entspricht. Ich liebe nicht nur die Musik, nein, ich bin geradezu schwärmerisch in sie verliebt Mit Albert Möser bin ich der Ansicht, daß die herrlichen Melodieen der "Zauberflöte" und der Beethoven'schen C-Moll-Symphonie für uns Sterbliche eigentlich viel zu gut sind, und daß ihr Genuß eine der wenigen unschätzbaren Freundlichkeiten bedeutet, die uns der Himmel aus Mitleid dann und wann zukommen läßt... Die phantastischen Träumereien, mit denen der geistreiche Hieronymus Lorm die Leistungen eines Heroen wie Franz Liszt umrankt hat, sind mir so recht aus der Seele geschrieben... Ich höre mit gleicher Empfänglichkeit das süßzärtliche "No, no, resta, gioja mia" das der sehnsuchtentbrannte Herzensberücker auf das bängliche "Ah, lasciatemi andar via" Zerlinens antwortet, wie den gewaltigen Ruf Ich habe mir die Bezeichnung „Musikfreund“ auf dem Titelblatt dieser Flugschrift wahrlich weder aus Ulk noch aus boshafter Ironie beigelegt. Eher aus Klugheit. Man muß die prinzipielle Musikfreundlichkeit seiner anima candida heutzutage gar scharf betonen, wenn man es unternimmt, Uebelstände zu rügen, die mit der göttlichen Kunst irgend wie im Zusammenhang stehen. Die Musikfanatiker fallen sonst über den Tadler her, wie die hungrigen Wölfe über ein Steppenroß und brüllen dabei aus vollem Halse: „Böotier!“ Ganz besonders ist es die weitverbreitete Species der Kunstheuchler, die sofort ihr „Anathema sit!“ auf den ruhigsten Mann schleudert, wenn er es bei Gelegenheit wagt, über gewisse Punkte seine Privatmeinung zu äußeren. Obschon ich also für den herausgesteckten „Musikfreund“ Gründe der Vorsicht und der Selbsterhaltung nicht völlig in Abrede stelle, will ich doch hier ansdrücklich vor allen neun Musen den Eid darauf ablegen, daß die Bezeichnung vor Allem der Wahrheit entspricht. Ich liebe nicht nur die Musik, nein, ich bin geradezu schwärmerisch in sie verliebt Mit Albert Möser bin ich der Ansicht, daß die herrlichen Melodieen der „Zauberflöte“ und der Beethoven’schen C-Moll-Symphonie für uns Sterbliche eigentlich viel zu gut sind, und daß ihr Genuß eine der wenigen unschätzbaren Freundlichkeiten bedeutet, die uns der Himmel aus Mitleid dann und wann zukommen läßt… Die phantastischen Träumereien, mit denen der geistreiche Hieronymus Lorm die Leistungen eines Heroen wie Franz Liszt umrankt hat, sind mir so recht aus der Seele geschrieben… Ich höre mit gleicher Empfänglichkeit das süßzärtliche „Nò, nò, resta, gioja mia“ das der sehnsuchtentbrannte Herzensberücker auf das bängliche „Ah, lasciatemi andar via“ Zerlinens antwortet, wie den gewaltigen Ruf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0011" n="9"/> <p>Ich habe mir die Bezeichnung „Musikfreund“ auf dem Titelblatt dieser Flugschrift wahrlich weder aus Ulk noch aus boshafter Ironie beigelegt. 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Ich liebe nicht nur die Musik, nein, ich bin geradezu schwärmerisch in sie verliebt Mit Albert Möser bin ich der Ansicht, daß die herrlichen Melodieen der „Zauberflöte“ und der Beethoven’schen C-Moll-Symphonie für uns Sterbliche eigentlich viel zu gut sind, und daß ihr Genuß eine der wenigen unschätzbaren Freundlichkeiten bedeutet, die uns der Himmel aus Mitleid dann und wann zukommen läßt… Die phantastischen Träumereien, mit denen der geistreiche Hieronymus Lorm die Leistungen eines Heroen wie Franz Liszt umrankt hat, sind mir so recht aus der Seele geschrieben… Ich höre mit gleicher Empfänglichkeit das süßzärtliche <hi rendition="#aq">„Nò, nò, resta, gioja mia“</hi> das der sehnsuchtentbrannte Herzensberücker auf das bängliche <hi rendition="#aq">„Ah, lasciatemi andar via“</hi> Zerlinens antwortet, wie den gewaltigen Ruf </p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0011]
Ich habe mir die Bezeichnung „Musikfreund“ auf dem Titelblatt dieser Flugschrift wahrlich weder aus Ulk noch aus boshafter Ironie beigelegt. Eher aus Klugheit. Man muß die prinzipielle Musikfreundlichkeit seiner anima candida heutzutage gar scharf betonen, wenn man es unternimmt, Uebelstände zu rügen, die mit der göttlichen Kunst irgend wie im Zusammenhang stehen. Die Musikfanatiker fallen sonst über den Tadler her, wie die hungrigen Wölfe über ein Steppenroß und brüllen dabei aus vollem Halse: „Böotier!“ Ganz besonders ist es die weitverbreitete Species der Kunstheuchler, die sofort ihr „Anathema sit!“ auf den ruhigsten Mann schleudert, wenn er es bei Gelegenheit wagt, über gewisse Punkte seine Privatmeinung zu äußeren. Obschon ich also für den herausgesteckten „Musikfreund“ Gründe der Vorsicht und der Selbsterhaltung nicht völlig in Abrede stelle, will ich doch hier ansdrücklich vor allen neun Musen den Eid darauf ablegen, daß die Bezeichnung vor Allem der Wahrheit entspricht. Ich liebe nicht nur die Musik, nein, ich bin geradezu schwärmerisch in sie verliebt Mit Albert Möser bin ich der Ansicht, daß die herrlichen Melodieen der „Zauberflöte“ und der Beethoven’schen C-Moll-Symphonie für uns Sterbliche eigentlich viel zu gut sind, und daß ihr Genuß eine der wenigen unschätzbaren Freundlichkeiten bedeutet, die uns der Himmel aus Mitleid dann und wann zukommen läßt… Die phantastischen Träumereien, mit denen der geistreiche Hieronymus Lorm die Leistungen eines Heroen wie Franz Liszt umrankt hat, sind mir so recht aus der Seele geschrieben… Ich höre mit gleicher Empfänglichkeit das süßzärtliche „Nò, nò, resta, gioja mia“ das der sehnsuchtentbrannte Herzensberücker auf das bängliche „Ah, lasciatemi andar via“ Zerlinens antwortet, wie den gewaltigen Ruf
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Zitationshilfe: | [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/11>, abgerufen am 08.07.2024. |