Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

sic jubeo, sagt der gesellige Takt, die unfehlbare Stimme des Hergebrachten, der Absolutismus jener stillschweigenden Verabredung, deren Gründe oft so rätselhaft sind, wie die Probleme der Metaphysik.

Und doch könnte der Frostmensch, falls die Luftwellen, die zum geöffneten Fenster hereinströmen, ihm wirklich mehr von seiner leiblichen Temperatur entziehen, als ihm erwünscht ist, sehr leicht seinen Paletot überhängen, während die Apoplektiker, wenn das Fenster geschlossen bleibt, nicht in der Lage sind, die Röcke und Westen bei Seite zu werfen und sich die Kragen vom Hemde zu knöpfen; es sei denn, daß man sich auf der Stundentenkneipe befände oder sonst wo im allerintimsten Eng-Cirkel, was wir im vorstehend skizzirten Fall nicht vorausgesetzt haben.

Kurz, die conventionelle Rücksichtslosigkeit fordert von dem Kulturmenschen, sich neunmal vom Schlag rühren zu lassen, ehe ein empfindlicher Miasmatiker einmal zu seinem Paletot greift.

Ist das vernünftig und logisch? Ist das gerecht? Ist das der wahrhaften Humanität entsprechend? Ich hoffe, selbst die luftfeindlichsten unserer Leser werden mir zugeben, daß eine solche Bevorzugung, so erwünscht sie für Den sein mag, der sich gegebenen Falls ihrer erfreuen darf, thatsächlich die schreiendste Vergewaltigung involvirt, die sich denken läßt.

Es will mich nun in meinem Herzen bedünken, als habe uns neuerdings die Musik-Narrheit in eine ganz ähnliche Situation gebracht, wie jener Frost-Mensch die Luft-Freunde; in eine Situation nämlich - (und ich bitte recht sehr, auf dies tertium comparationis achten zu wollen) - die nur denkbar erscheint unter der Herrschaft der conventionellen Rücksichtslosigkeit.

sic jubeo, sagt der gesellige Takt, die unfehlbare Stimme des Hergebrachten, der Absolutismus jener stillschweigenden Verabredung, deren Gründe oft so rätselhaft sind, wie die Probleme der Metaphysik.

Und doch könnte der Frostmensch, falls die Luftwellen, die zum geöffneten Fenster hereinströmen, ihm wirklich mehr von seiner leiblichen Temperatur entziehen, als ihm erwünscht ist, sehr leicht seinen Paletot überhängen, während die Apoplektiker, wenn das Fenster geschlossen bleibt, nicht in der Lage sind, die Röcke und Westen bei Seite zu werfen und sich die Kragen vom Hemde zu knöpfen; es sei denn, daß man sich auf der Stundentenkneipe befände oder sonst wo im allerintimsten Eng-Cirkel, was wir im vorstehend skizzirten Fall nicht vorausgesetzt haben.

Kurz, die conventionelle Rücksichtslosigkeit fordert von dem Kulturmenschen, sich neunmal vom Schlag rühren zu lassen, ehe ein empfindlicher Miasmatiker einmal zu seinem Paletot greift.

Ist das vernünftig und logisch? Ist das gerecht? Ist das der wahrhaften Humanität entsprechend? Ich hoffe, selbst die luftfeindlichsten unserer Leser werden mir zugeben, daß eine solche Bevorzugung, so erwünscht sie für Den sein mag, der sich gegebenen Falls ihrer erfreuen darf, thatsächlich die schreiendste Vergewaltigung involvirt, die sich denken läßt.

Es will mich nun in meinem Herzen bedünken, als habe uns neuerdings die Musik-Narrheit in eine ganz ähnliche Situation gebracht, wie jener Frost-Mensch die Luft-Freunde; in eine Situation nämlich – (und ich bitte recht sehr, auf dies tertium comparationis achten zu wollen) – die nur denkbar erscheint unter der Herrschaft der conventionellen Rücksichtslosigkeit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0010" n="8"/>
sic jubeo,</hi> sagt der gesellige Takt, die unfehlbare Stimme des Hergebrachten, der Absolutismus jener stillschweigenden Verabredung, deren Gründe oft so rätselhaft sind, wie die Probleme der Metaphysik.</p>
        <p>Und doch könnte der Frostmensch, falls die Luftwellen, die zum geöffneten Fenster hereinströmen, ihm wirklich mehr von seiner leiblichen Temperatur entziehen, als ihm erwünscht ist, sehr leicht seinen Paletot überhängen, während die Apoplektiker, wenn das Fenster geschlossen bleibt, nicht in der Lage sind, die Röcke und Westen bei Seite zu werfen und sich die Kragen vom Hemde zu knöpfen; es sei denn, daß man sich auf der Stundentenkneipe befände oder sonst wo im allerintimsten Eng-Cirkel, was wir im vorstehend skizzirten Fall nicht vorausgesetzt haben.</p>
        <p>Kurz, die conventionelle Rücksichtslosigkeit fordert von dem Kulturmenschen, sich neunmal vom Schlag rühren zu lassen, ehe ein empfindlicher Miasmatiker einmal zu seinem Paletot greift.</p>
        <p>Ist das vernünftig und logisch? Ist das gerecht? Ist das der wahrhaften Humanität entsprechend? Ich hoffe, selbst die luftfeindlichsten unserer Leser werden mir zugeben, daß eine solche Bevorzugung, so erwünscht sie für Den sein mag, der sich gegebenen Falls ihrer erfreuen darf, thatsächlich die schreiendste Vergewaltigung involvirt, die sich denken läßt.</p>
        <p>Es will mich nun in meinem Herzen bedünken, als habe uns neuerdings die Musik-Narrheit in eine ganz ähnliche Situation gebracht, wie jener Frost-Mensch die Luft-Freunde; in eine Situation nämlich &#x2013; (und ich bitte recht sehr, auf dies <hi rendition="#aq">tertium comparationis</hi> achten zu wollen) &#x2013; die nur denkbar erscheint unter der Herrschaft der conventionellen Rücksichtslosigkeit.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0010] sic jubeo, sagt der gesellige Takt, die unfehlbare Stimme des Hergebrachten, der Absolutismus jener stillschweigenden Verabredung, deren Gründe oft so rätselhaft sind, wie die Probleme der Metaphysik. Und doch könnte der Frostmensch, falls die Luftwellen, die zum geöffneten Fenster hereinströmen, ihm wirklich mehr von seiner leiblichen Temperatur entziehen, als ihm erwünscht ist, sehr leicht seinen Paletot überhängen, während die Apoplektiker, wenn das Fenster geschlossen bleibt, nicht in der Lage sind, die Röcke und Westen bei Seite zu werfen und sich die Kragen vom Hemde zu knöpfen; es sei denn, daß man sich auf der Stundentenkneipe befände oder sonst wo im allerintimsten Eng-Cirkel, was wir im vorstehend skizzirten Fall nicht vorausgesetzt haben. Kurz, die conventionelle Rücksichtslosigkeit fordert von dem Kulturmenschen, sich neunmal vom Schlag rühren zu lassen, ehe ein empfindlicher Miasmatiker einmal zu seinem Paletot greift. Ist das vernünftig und logisch? Ist das gerecht? Ist das der wahrhaften Humanität entsprechend? Ich hoffe, selbst die luftfeindlichsten unserer Leser werden mir zugeben, daß eine solche Bevorzugung, so erwünscht sie für Den sein mag, der sich gegebenen Falls ihrer erfreuen darf, thatsächlich die schreiendste Vergewaltigung involvirt, die sich denken läßt. Es will mich nun in meinem Herzen bedünken, als habe uns neuerdings die Musik-Narrheit in eine ganz ähnliche Situation gebracht, wie jener Frost-Mensch die Luft-Freunde; in eine Situation nämlich – (und ich bitte recht sehr, auf dies tertium comparationis achten zu wollen) – die nur denkbar erscheint unter der Herrschaft der conventionellen Rücksichtslosigkeit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-04T11:47:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T11:47:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T11:47:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/10
Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/10>, abgerufen am 28.03.2024.