sieht die classischen Stücke seiner großen Dichter so oft, daß er sie auswendig weiß und für die Betonung einer jeden Sylbe ein geübtes Ohr hat. Hier in Weimar hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine Iphigenie und meinen Tasso zu geben; allein wie oft? -- Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publicum findet sie langweilig. Sehr begreiflich! Die Schauspieler sind nicht geübt, die Stücke zu spielen, und das Publi¬ cum ist nicht geübt, sie zu hören. Würden die Schau¬ spieler durch öftere Wiederholung sich in ihre Rollen so hineinspielen, daß die Darstellung ein Leben gewönne, als wäre es nicht eingelernt, sondern als entquölle Alles aus ihrem eigenen Herzen, so würde das Publicum sicher auch nicht ohne Interesse und ohne Empfindung bleiben."
"Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sey es möglich, ein deutsches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich selber dazu beitragen und als könne ich zu einem solchen Bau einige Grundsteine legen. Ich schrieb meine Iphigenie und meinen Tasso und dachte in kindischer Hoffnung, so würde es gehen. Allein es regte sich nicht und rührte sich nicht und blieb Alles wie zuvor. -- Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, so würde ich Euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die Iphigenie und den Tasso geschrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie gesagt, es fehlten die Schauspieler, um dergleichen
ſieht die claſſiſchen Stücke ſeiner großen Dichter ſo oft, daß er ſie auswendig weiß und für die Betonung einer jeden Sylbe ein geübtes Ohr hat. Hier in Weimar hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine Iphigenie und meinen Taſſo zu geben; allein wie oft? — Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publicum findet ſie langweilig. Sehr begreiflich! Die Schauſpieler ſind nicht geübt, die Stücke zu ſpielen, und das Publi¬ cum iſt nicht geübt, ſie zu hören. Würden die Schau¬ ſpieler durch öftere Wiederholung ſich in ihre Rollen ſo hineinſpielen, daß die Darſtellung ein Leben gewönne, als wäre es nicht eingelernt, ſondern als entquölle Alles aus ihrem eigenen Herzen, ſo würde das Publicum ſicher auch nicht ohne Intereſſe und ohne Empfindung bleiben.“
„Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als ſey es möglich, ein deutſches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich ſelber dazu beitragen und als könne ich zu einem ſolchen Bau einige Grundſteine legen. Ich ſchrieb meine Iphigenie und meinen Taſſo und dachte in kindiſcher Hoffnung, ſo würde es gehen. Allein es regte ſich nicht und rührte ſich nicht und blieb Alles wie zuvor. — Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, ſo würde ich Euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die Iphigenie und den Taſſo geſchrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie geſagt, es fehlten die Schauſpieler, um dergleichen
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ſieht die claſſiſchen Stücke ſeiner großen Dichter ſo oft,
daß er ſie auswendig weiß und für die Betonung einer
jeden Sylbe ein geübtes Ohr hat. Hier in Weimar
hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine Iphigenie
und meinen Taſſo zu geben; allein wie oft? — Kaum
alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publicum findet
ſie langweilig. Sehr begreiflich! Die Schauſpieler
ſind nicht geübt, die Stücke zu ſpielen, und das Publi¬
cum iſt nicht geübt, ſie zu hören. Würden die Schau¬
ſpieler durch öftere Wiederholung ſich in ihre Rollen
ſo hineinſpielen, daß die Darſtellung ein Leben gewönne,
als wäre es nicht eingelernt, ſondern als entquölle Alles
aus ihrem eigenen Herzen, ſo würde das Publicum
ſicher auch nicht ohne Intereſſe und ohne Empfindung
bleiben.“
„Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als ſey es
möglich, ein deutſches Theater zu bilden. Ja ich hatte
den Wahn, als könne ich ſelber dazu beitragen und
als könne ich zu einem ſolchen Bau einige Grundſteine
legen. Ich ſchrieb meine Iphigenie und meinen Taſſo
und dachte in kindiſcher Hoffnung, ſo würde es gehen.
Allein es regte ſich nicht und rührte ſich nicht und
blieb Alles wie zuvor. — Hätte ich Wirkung gemacht
und Beifall gefunden, ſo würde ich Euch ein ganzes
Dutzend Stücke wie die Iphigenie und den Taſſo
geſchrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/99>, abgerufen am 23.11.2024.
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