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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Geistes einigermaßen zugänglich werden und daß Vieles
von ihm in der kräftigen productiven Luft seines Jahr¬
hunderts und seiner Zeit lag.

"Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe.
Es ist mit Shakspeare wie mit den Gebirgen der
Schweiz. Verpflanzen Sie den Montblanc unmittelbar
in die große Ebene der Lüneburger Heide, und Sie
werden vor Erstaunen über seine Größe keine Worte
finden. Besuchen Sie ihn aber in seiner riesigen
Heimath, kommen Sie zu ihm über seine großen Nach¬
barn: die Jungfrau, das Finsteraarhorn, den Eiger,
das Wetterhorn, den Gotthart und Monte Rosa, so
wird zwar der Montblanc immer ein Riese bleiben,
allein er wird uns nicht mehr in ein solches Erstaunen
setzen."

"Wer übrigens nicht glauben will, fuhr Goethe
fort, daß Vieles von der Größe Shakspeare's seiner
großen kräftigen Zeit angehört, der stelle sich nur die
Frage, ob er denn eine solche Staunen erregende
Erscheinung in dem heutigen England von 1824, in
diesen schlechten Tagen kritisirender und zersplitternder
Journale, für möglich halte?"

"Jenes ungestörte, unschuldige, nachtwandlerische
Schaffen, wodurch allein etwas Großes gedeihen kann,
ist gar nicht mehr möglich. Unsere jetzigen Talente
liegen alle auf dem Präsentirteller der Oeffentlichkeit.
Die täglich an funfzig verschiedenen Orten erscheinenden

Geiſtes einigermaßen zugänglich werden und daß Vieles
von ihm in der kräftigen productiven Luft ſeines Jahr¬
hunderts und ſeiner Zeit lag.

„Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe.
Es iſt mit Shakſpeare wie mit den Gebirgen der
Schweiz. Verpflanzen Sie den Montblanc unmittelbar
in die große Ebene der Lüneburger Heide, und Sie
werden vor Erſtaunen über ſeine Größe keine Worte
finden. Beſuchen Sie ihn aber in ſeiner rieſigen
Heimath, kommen Sie zu ihm über ſeine großen Nach¬
barn: die Jungfrau, das Finſteraarhorn, den Eiger,
das Wetterhorn, den Gotthart und Monte Roſa, ſo
wird zwar der Montblanc immer ein Rieſe bleiben,
allein er wird uns nicht mehr in ein ſolches Erſtaunen
ſetzen.“

„Wer übrigens nicht glauben will, fuhr Goethe
fort, daß Vieles von der Größe Shakſpeare's ſeiner
großen kräftigen Zeit angehört, der ſtelle ſich nur die
Frage, ob er denn eine ſolche Staunen erregende
Erſcheinung in dem heutigen England von 1824, in
dieſen ſchlechten Tagen kritiſirender und zerſplitternder
Journale, für möglich halte?“

„Jenes ungeſtörte, unſchuldige, nachtwandleriſche
Schaffen, wodurch allein etwas Großes gedeihen kann,
iſt gar nicht mehr möglich. Unſere jetzigen Talente
liegen alle auf dem Präſentirteller der Oeffentlichkeit.
Die täglich an funfzig verſchiedenen Orten erſcheinenden

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[36/0058] Geiſtes einigermaßen zugänglich werden und daß Vieles von ihm in der kräftigen productiven Luft ſeines Jahr¬ hunderts und ſeiner Zeit lag. „Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe. Es iſt mit Shakſpeare wie mit den Gebirgen der Schweiz. Verpflanzen Sie den Montblanc unmittelbar in die große Ebene der Lüneburger Heide, und Sie werden vor Erſtaunen über ſeine Größe keine Worte finden. Beſuchen Sie ihn aber in ſeiner rieſigen Heimath, kommen Sie zu ihm über ſeine großen Nach¬ barn: die Jungfrau, das Finſteraarhorn, den Eiger, das Wetterhorn, den Gotthart und Monte Roſa, ſo wird zwar der Montblanc immer ein Rieſe bleiben, allein er wird uns nicht mehr in ein ſolches Erſtaunen ſetzen.“ „Wer übrigens nicht glauben will, fuhr Goethe fort, daß Vieles von der Größe Shakſpeare's ſeiner großen kräftigen Zeit angehört, der ſtelle ſich nur die Frage, ob er denn eine ſolche Staunen erregende Erſcheinung in dem heutigen England von 1824, in dieſen ſchlechten Tagen kritiſirender und zerſplitternder Journale, für möglich halte?“ „Jenes ungeſtörte, unſchuldige, nachtwandleriſche Schaffen, wodurch allein etwas Großes gedeihen kann, iſt gar nicht mehr möglich. Unſere jetzigen Talente liegen alle auf dem Präſentirteller der Oeffentlichkeit. Die täglich an funfzig verſchiedenen Orten erſcheinenden

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/58>, abgerufen am 23.11.2024.