centriren sich in der Hauptstadt und haben dort ihr eigentliches Leben und ihren eigentlichen Wiederhall. Auch ist er in den meisten seiner politischen Lieder kei¬ neswegs als bloßes Organ einer einzelnen Partei zu betrachten, vielmehr sind die Dinge, denen er entgegen¬ wirkt, größtentheils von so allgemein nationalem In¬ teresse, daß der Dichter fast immer als große Volks¬ stimme vernommen wird. Bei uns in Deutschland ist dergleichen nicht möglich. Wir haben keine Stadt, ja wir haben nicht einmal ein Land, von dem wir entschie¬ den sagen könnten: Hier ist Deutschland! Fragen wir in Wien, so heißt es: Hier ist Oestreich! und fra¬ gen wir in Berlin, so heißt es: Hier ist Preußen! -- Bloß vor sechszehn Jahren, als wir endlich die Fran¬ zosen los seyn wollten, war Deutschland überall. -- Hier hätte ein politischer Dichter allgemein wirken kön¬ nen; -- allein es bedurfte seiner nicht! Die allgemeine Noth und das allgemeine Gefühl der Schmach hatte die Nation als etwas Dämonisches ergriffen; das be¬ geisternde Feuer, das der Dichter hätte entzünden kön¬ nen, brannte bereits überall von selber. Doch will ich nicht läugnen, daß Arndt, Körner und Rückert Einiges gewirkt haben."
Man hat Ihnen vorgeworfen, bemerkte ich etwas unvorsichtig, daß Sie in jener großen Zeit nicht auch die Waffen ergriffen, oder wenigstens nicht als Dichter eingewirkt haben.
centriren ſich in der Hauptſtadt und haben dort ihr eigentliches Leben und ihren eigentlichen Wiederhall. Auch iſt er in den meiſten ſeiner politiſchen Lieder kei¬ neswegs als bloßes Organ einer einzelnen Partei zu betrachten, vielmehr ſind die Dinge, denen er entgegen¬ wirkt, größtentheils von ſo allgemein nationalem In¬ tereſſe, daß der Dichter faſt immer als große Volks¬ ſtimme vernommen wird. Bei uns in Deutſchland iſt dergleichen nicht möglich. Wir haben keine Stadt, ja wir haben nicht einmal ein Land, von dem wir entſchie¬ den ſagen könnten: Hier iſt Deutſchland! Fragen wir in Wien, ſo heißt es: Hier iſt Oeſtreich! und fra¬ gen wir in Berlin, ſo heißt es: Hier iſt Preußen! — Bloß vor ſechszehn Jahren, als wir endlich die Fran¬ zoſen los ſeyn wollten, war Deutſchland überall. — Hier hätte ein politiſcher Dichter allgemein wirken kön¬ nen; — allein es bedurfte ſeiner nicht! Die allgemeine Noth und das allgemeine Gefühl der Schmach hatte die Nation als etwas Dämoniſches ergriffen; das be¬ geiſternde Feuer, das der Dichter hätte entzünden kön¬ nen, brannte bereits überall von ſelber. Doch will ich nicht läugnen, daß Arndt, Körner und Rückert Einiges gewirkt haben.“
Man hat Ihnen vorgeworfen, bemerkte ich etwas unvorſichtig, daß Sie in jener großen Zeit nicht auch die Waffen ergriffen, oder wenigſtens nicht als Dichter eingewirkt haben.
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0334"n="312"/>
centriren ſich in der Hauptſtadt und haben dort ihr<lb/>
eigentliches Leben und ihren eigentlichen Wiederhall.<lb/>
Auch iſt er in den meiſten ſeiner politiſchen Lieder kei¬<lb/>
neswegs als bloßes Organ einer einzelnen Partei zu<lb/>
betrachten, vielmehr ſind die Dinge, denen er entgegen¬<lb/>
wirkt, größtentheils von ſo allgemein nationalem In¬<lb/>
tereſſe, daß der Dichter faſt immer als große <hirendition="#g">Volks</hi>¬<lb/>ſtimme vernommen wird. Bei uns in Deutſchland iſt<lb/>
dergleichen nicht möglich. Wir haben keine Stadt, ja<lb/>
wir haben nicht einmal ein Land, von dem wir entſchie¬<lb/>
den ſagen könnten: <hirendition="#g">Hier iſt Deutſchland</hi>! Fragen<lb/>
wir in Wien, ſo heißt es: Hier iſt Oeſtreich! und fra¬<lb/>
gen wir in Berlin, ſo heißt es: Hier iſt Preußen! —<lb/>
Bloß vor ſechszehn Jahren, als wir endlich die Fran¬<lb/>
zoſen los ſeyn wollten, war Deutſchland überall. —<lb/>
Hier hätte ein politiſcher Dichter allgemein wirken kön¬<lb/>
nen; — allein es bedurfte ſeiner nicht! Die allgemeine<lb/>
Noth und das allgemeine Gefühl der Schmach hatte<lb/>
die Nation als etwas Dämoniſches ergriffen; das be¬<lb/>
geiſternde Feuer, das der Dichter hätte entzünden kön¬<lb/>
nen, brannte bereits überall von ſelber. Doch will ich<lb/>
nicht läugnen, daß <hirendition="#g">Arndt</hi>, <hirendition="#g">Körner</hi> und <hirendition="#g">Rückert</hi><lb/>
Einiges gewirkt haben.“</p><lb/><p>Man hat Ihnen vorgeworfen, bemerkte ich etwas<lb/>
unvorſichtig, daß Sie in jener großen Zeit nicht auch<lb/>
die Waffen ergriffen, oder wenigſtens nicht als Dichter<lb/>
eingewirkt haben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[312/0334]
centriren ſich in der Hauptſtadt und haben dort ihr
eigentliches Leben und ihren eigentlichen Wiederhall.
Auch iſt er in den meiſten ſeiner politiſchen Lieder kei¬
neswegs als bloßes Organ einer einzelnen Partei zu
betrachten, vielmehr ſind die Dinge, denen er entgegen¬
wirkt, größtentheils von ſo allgemein nationalem In¬
tereſſe, daß der Dichter faſt immer als große Volks¬
ſtimme vernommen wird. Bei uns in Deutſchland iſt
dergleichen nicht möglich. Wir haben keine Stadt, ja
wir haben nicht einmal ein Land, von dem wir entſchie¬
den ſagen könnten: Hier iſt Deutſchland! Fragen
wir in Wien, ſo heißt es: Hier iſt Oeſtreich! und fra¬
gen wir in Berlin, ſo heißt es: Hier iſt Preußen! —
Bloß vor ſechszehn Jahren, als wir endlich die Fran¬
zoſen los ſeyn wollten, war Deutſchland überall. —
Hier hätte ein politiſcher Dichter allgemein wirken kön¬
nen; — allein es bedurfte ſeiner nicht! Die allgemeine
Noth und das allgemeine Gefühl der Schmach hatte
die Nation als etwas Dämoniſches ergriffen; das be¬
geiſternde Feuer, das der Dichter hätte entzünden kön¬
nen, brannte bereits überall von ſelber. Doch will ich
nicht läugnen, daß Arndt, Körner und Rückert
Einiges gewirkt haben.“
Man hat Ihnen vorgeworfen, bemerkte ich etwas
unvorſichtig, daß Sie in jener großen Zeit nicht auch
die Waffen ergriffen, oder wenigſtens nicht als Dichter
eingewirkt haben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/334>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.