Fehler habe; allein er war von Sophokles und Aeschylus doch immerhin ein sehr ehrenwerther Mitstreiter. Wenn er nicht den hohen Ernst und die strenge Kunstvollendung seiner beiden Vorgänger besaß und dagegen als Theater¬ dichter die Dinge ein wenig läßlicher und menschlicher tractirte, so kannte er wahrscheinlich seine Athenienser hinreichend, um zu wissen, daß der von ihm angestimmte Ton für seine Zeitgenossen eben der rechte sey. Ein Dichter aber, den Socrates seinen Freund nannte, den Aristoteles hochstellte, den Menander bewunderte, und um den Sophokles und die Stadt Athen bei der Nach¬ richt von seinem Tode Trauerkleider anlegte, mußte doch wohl in der That etwas seyn. Wenn ein moderner Mensch, wie Schlegel, an einem so großen Alten Fehler zu rügen hätte, so sollte es billig nicht anders geschehen, als auf den Knieen."
Sonntag, den 1. April 1827.
Abends bei Goethe. Ich sprach mit ihm über die gestrige Vorstellung seiner Iphigenie, worin Herr Krüger, vom Königlichen Theater zu Berlin, den Orest spielte, und zwar zu großem Beifall.
"Das Stück, sagte Goethe, hat seine Schwierig¬ keiten. Es ist reich an innerem Leben, aber arm an äußerem. Daß aber das innere Leben hervorgekehrt werde, darin liegt's. Es ist voll der wirksamsten Mittel, die aus den mannigfaltigsten Gräueln hervorwachsen,
Fehler habe; allein er war von Sophokles und Aeſchylus doch immerhin ein ſehr ehrenwerther Mitſtreiter. Wenn er nicht den hohen Ernſt und die ſtrenge Kunſtvollendung ſeiner beiden Vorgänger beſaß und dagegen als Theater¬ dichter die Dinge ein wenig läßlicher und menſchlicher tractirte, ſo kannte er wahrſcheinlich ſeine Athenienſer hinreichend, um zu wiſſen, daß der von ihm angeſtimmte Ton für ſeine Zeitgenoſſen eben der rechte ſey. Ein Dichter aber, den Socrates ſeinen Freund nannte, den Ariſtoteles hochſtellte, den Menander bewunderte, und um den Sophokles und die Stadt Athen bei der Nach¬ richt von ſeinem Tode Trauerkleider anlegte, mußte doch wohl in der That etwas ſeyn. Wenn ein moderner Menſch, wie Schlegel, an einem ſo großen Alten Fehler zu rügen hätte, ſo ſollte es billig nicht anders geſchehen, als auf den Knieen.“
Sonntag, den 1. April 1827.
Abends bei Goethe. Ich ſprach mit ihm über die geſtrige Vorſtellung ſeiner Iphigenie, worin Herr Krüger, vom Königlichen Theater zu Berlin, den Oreſt ſpielte, und zwar zu großem Beifall.
„Das Stück, ſagte Goethe, hat ſeine Schwierig¬ keiten. Es iſt reich an innerem Leben, aber arm an äußerem. Daß aber das innere Leben hervorgekehrt werde, darin liegt's. Es iſt voll der wirkſamſten Mittel, die aus den mannigfaltigſten Gräueln hervorwachſen,
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Fehler habe; allein er war von Sophokles und Aeſchylus
doch immerhin ein ſehr ehrenwerther Mitſtreiter. Wenn
er nicht den hohen Ernſt und die ſtrenge Kunſtvollendung
ſeiner beiden Vorgänger beſaß und dagegen als Theater¬
dichter die Dinge ein wenig läßlicher und menſchlicher
tractirte, ſo kannte er wahrſcheinlich ſeine Athenienſer
hinreichend, um zu wiſſen, daß der von ihm angeſtimmte
Ton für ſeine Zeitgenoſſen eben der rechte ſey. Ein
Dichter aber, den Socrates ſeinen Freund nannte, den
Ariſtoteles hochſtellte, den Menander bewunderte, und
um den Sophokles und die Stadt Athen bei der Nach¬
richt von ſeinem Tode Trauerkleider anlegte, mußte
doch wohl in der That etwas ſeyn. Wenn ein moderner
Menſch, wie Schlegel, an einem ſo großen Alten Fehler
zu rügen hätte, ſo ſollte es billig nicht anders geſchehen,
als auf den Knieen.“
Sonntag, den 1. April 1827.
Abends bei Goethe. Ich ſprach mit ihm über die
geſtrige Vorſtellung ſeiner Iphigenie, worin Herr
Krüger, vom Königlichen Theater zu Berlin, den
Oreſt ſpielte, und zwar zu großem Beifall.
„Das Stück, ſagte Goethe, hat ſeine Schwierig¬
keiten. Es iſt reich an innerem Leben, aber arm an
äußerem. Daß aber das innere Leben hervorgekehrt
werde, darin liegt's. Es iſt voll der wirkſamſten Mittel,
die aus den mannigfaltigſten Gräueln hervorwachſen,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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