Naturell, das hochgebildete Innere des Dichters. Es ist in ihm eine Grazie und ein Tact für das Schick¬ liche, und ein Ton des feinen Umgangs, wie es seine angeborene schöne Natur nur im täglichen Verkehr mit den vorzüglichsten Menschen seines Jahrhunderts er¬ reichen konnte. -- Von Menander kenne ich nur die wenigen Bruchstücke; aber diese geben mir von ihm gleichfalls eine so hohe Idee, daß ich diesen großen Griechen für den einzigen Menschen halte, der mit Mo¬ liere wäre zu vergleichen gewesen."
Ich bin glücklich, erwiederte ich, Sie so gut über Moliere reden zu hören. Das klingt freilich ein wenig anders als Herr v. Schlegel! Ich habe noch in diesen Tagen in seinen Vorlesungen über dramatische Poesie mit großem Widerwillen verschluckt, was er über Mo¬ liere sagt. Er behandelt ihn, wie Sie wissen, ganz von oben herab, als einen gemeinen Possenreißer, der die gute Gesellschaft nur aus der Ferne gesehen und dessen Gewerbe es gewesen, zur Ergötzung seines Herrn allerlei Schwänke zu erfinden. In solchen niedrig¬ lustigen Schwänken sey er noch am glücklichsten gewesen; doch habe er das Beste gestohlen. Zu der höheren Gattung des Lustspiels habe er sich zwingen müssen, und es sey ihm nie damit gelungen.
"Einem Menschen wie Schlegel, erwiederte Göthe, ist freilich eine so tüchtige Natur wie Moliere ein wahrer Dorn im Auge; er fühlt, daß er von ihm
Naturell, das hochgebildete Innere des Dichters. Es iſt in ihm eine Grazie und ein Tact für das Schick¬ liche, und ein Ton des feinen Umgangs, wie es ſeine angeborene ſchöne Natur nur im täglichen Verkehr mit den vorzüglichſten Menſchen ſeines Jahrhunderts er¬ reichen konnte. — Von Menander kenne ich nur die wenigen Bruchſtücke; aber dieſe geben mir von ihm gleichfalls eine ſo hohe Idee, daß ich dieſen großen Griechen für den einzigen Menſchen halte, der mit Mo¬ lière wäre zu vergleichen geweſen.“
Ich bin glücklich, erwiederte ich, Sie ſo gut über Molière reden zu hören. Das klingt freilich ein wenig anders als Herr v. Schlegel! Ich habe noch in dieſen Tagen in ſeinen Vorleſungen über dramatiſche Poeſie mit großem Widerwillen verſchluckt, was er über Mo¬ lière ſagt. Er behandelt ihn, wie Sie wiſſen, ganz von oben herab, als einen gemeinen Poſſenreißer, der die gute Geſellſchaft nur aus der Ferne geſehen und deſſen Gewerbe es geweſen, zur Ergötzung ſeines Herrn allerlei Schwänke zu erfinden. In ſolchen niedrig¬ luſtigen Schwänken ſey er noch am glücklichſten geweſen; doch habe er das Beſte geſtohlen. Zu der höheren Gattung des Luſtſpiels habe er ſich zwingen müſſen, und es ſey ihm nie damit gelungen.
„Einem Menſchen wie Schlegel, erwiederte Göthe, iſt freilich eine ſo tüchtige Natur wie Molière ein wahrer Dorn im Auge; er fühlt, daß er von ihm
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Naturell, das hochgebildete Innere des Dichters. Es
iſt in ihm eine Grazie und ein Tact für das Schick¬
liche, und ein Ton des feinen Umgangs, wie es ſeine
angeborene ſchöne Natur nur im täglichen Verkehr mit
den vorzüglichſten Menſchen ſeines Jahrhunderts er¬
reichen konnte. — Von Menander kenne ich nur die
wenigen Bruchſtücke; aber dieſe geben mir von ihm
gleichfalls eine ſo hohe Idee, daß ich dieſen großen
Griechen für den einzigen Menſchen halte, der mit Mo¬
lière wäre zu vergleichen geweſen.“
Ich bin glücklich, erwiederte ich, Sie ſo gut über
Molière reden zu hören. Das klingt freilich ein wenig
anders als Herr v. Schlegel! Ich habe noch in dieſen
Tagen in ſeinen Vorleſungen über dramatiſche Poeſie
mit großem Widerwillen verſchluckt, was er über Mo¬
lière ſagt. Er behandelt ihn, wie Sie wiſſen, ganz
von oben herab, als einen gemeinen Poſſenreißer, der
die gute Geſellſchaft nur aus der Ferne geſehen und
deſſen Gewerbe es geweſen, zur Ergötzung ſeines Herrn
allerlei Schwänke zu erfinden. In ſolchen niedrig¬
luſtigen Schwänken ſey er noch am glücklichſten geweſen;
doch habe er das Beſte geſtohlen. Zu der höheren
Gattung des Luſtſpiels habe er ſich zwingen müſſen,
und es ſey ihm nie damit gelungen.
„Einem Menſchen wie Schlegel, erwiederte Göthe,
iſt freilich eine ſo tüchtige Natur wie Molière ein
wahrer Dorn im Auge; er fühlt, daß er von ihm
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/156>, abgerufen am 21.11.2024.
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