Lehre von den farbigen Doppelschatten, nicht durchaus bestätiget finde.
Ich trug ihm meine Beobachtungen und Gedanken über diese Puncte vor; allein da es mir nicht gegeben ist, Gegenstände im mündlichen Gespräch mit einiger Klarheit umständlich zu entwickeln, so beschränkte ich mich darauf, bloß die Resultate meines Gewahr¬ werdens hinzustellen, ohne in eine nähere Erörterung des Einzelnen einzugehen, die ich mir schriftlich vor¬ behielt.
Ich hatte aber kaum zu reden angefangen, als Goethe's erhaben-heiteres Wesen sich verfinsterte, und ich nur zu deutlich sah, daß er meine Einwendungen nicht billige.
Freylich, sagte ich, wer gegen Euer Excellenz Recht haben will, muß früh aufstehen; allein doch kann es sich fügen, daß der Mündige sich übereilt und der Un¬ mündige es findet.
"Als ob Ihr es gefunden hättet! antwortete Goethe etwas ironisch spöttelnd; mit Eurer Idee des farbigen Lichtes gehört Ihr in das vierzehnte Jahrhundert, und im Übrigen steckt Ihr in der tiefsten Dialektik. Das Einzige, was an Euch Gutes ist, besteht darin, daß Ihr wenigstens ehrlich genug seyd, um grade herauszu¬ sagen, wie Ihr denket."
"Es geht mir mit meiner Farbenlehre, fuhr er dar¬ auf etwas heiterer und milder fort, gerade wie mit der
Lehre von den farbigen Doppelſchatten, nicht durchaus beſtaͤtiget finde.
Ich trug ihm meine Beobachtungen und Gedanken uͤber dieſe Puncte vor; allein da es mir nicht gegeben iſt, Gegenſtaͤnde im muͤndlichen Geſpraͤch mit einiger Klarheit umſtaͤndlich zu entwickeln, ſo beſchraͤnkte ich mich darauf, bloß die Reſultate meines Gewahr¬ werdens hinzuſtellen, ohne in eine naͤhere Eroͤrterung des Einzelnen einzugehen, die ich mir ſchriftlich vor¬ behielt.
Ich hatte aber kaum zu reden angefangen, als Goethe's erhaben-heiteres Weſen ſich verfinſterte, und ich nur zu deutlich ſah, daß er meine Einwendungen nicht billige.
Freylich, ſagte ich, wer gegen Euer Excellenz Recht haben will, muß fruͤh aufſtehen; allein doch kann es ſich fuͤgen, daß der Muͤndige ſich uͤbereilt und der Un¬ muͤndige es findet.
„Als ob Ihr es gefunden haͤttet! antwortete Goethe etwas ironiſch ſpoͤttelnd; mit Eurer Idee des farbigen Lichtes gehoͤrt Ihr in das vierzehnte Jahrhundert, und im Übrigen ſteckt Ihr in der tiefſten Dialektik. Das Einzige, was an Euch Gutes iſt, beſteht darin, daß Ihr wenigſtens ehrlich genug ſeyd, um grade herauszu¬ ſagen, wie Ihr denket.“
„Es geht mir mit meiner Farbenlehre, fuhr er dar¬ auf etwas heiterer und milder fort, gerade wie mit der
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Lehre von den farbigen Doppelſchatten, nicht durchaus
beſtaͤtiget finde.
Ich trug ihm meine Beobachtungen und Gedanken
uͤber dieſe Puncte vor; allein da es mir nicht gegeben
iſt, Gegenſtaͤnde im muͤndlichen Geſpraͤch mit einiger
Klarheit umſtaͤndlich zu entwickeln, ſo beſchraͤnkte ich
mich darauf, bloß die Reſultate meines Gewahr¬
werdens hinzuſtellen, ohne in eine naͤhere Eroͤrterung
des Einzelnen einzugehen, die ich mir ſchriftlich vor¬
behielt.
Ich hatte aber kaum zu reden angefangen, als
Goethe's erhaben-heiteres Weſen ſich verfinſterte, und
ich nur zu deutlich ſah, daß er meine Einwendungen
nicht billige.
Freylich, ſagte ich, wer gegen Euer Excellenz Recht
haben will, muß fruͤh aufſtehen; allein doch kann es
ſich fuͤgen, daß der Muͤndige ſich uͤbereilt und der Un¬
muͤndige es findet.
„Als ob Ihr es gefunden haͤttet! antwortete Goethe
etwas ironiſch ſpoͤttelnd; mit Eurer Idee des farbigen
Lichtes gehoͤrt Ihr in das vierzehnte Jahrhundert, und
im Übrigen ſteckt Ihr in der tiefſten Dialektik. Das
Einzige, was an Euch Gutes iſt, beſteht darin, daß
Ihr wenigſtens ehrlich genug ſeyd, um grade herauszu¬
ſagen, wie Ihr denket.“
„Es geht mir mit meiner Farbenlehre, fuhr er dar¬
auf etwas heiterer und milder fort, gerade wie mit der
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/94>, abgerufen am 26.11.2024.
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