Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

lichte erleuchteten, bläulichen, oder bläulich-grünen Schat¬
ten aber, erklärt er für subjectiv, für eine geforderte
Farbe, die durch den auf dem weißen Papier verbreite¬
ten gelben Schein des Kerzenlichtes im Auge hervorge¬
rufen werde.

Diese Lehre fand ich nun, bey sorgfältigster Beob¬
achtung des Phänomens, gleichfalls nicht durchaus be¬
stätigt; es wollte mir vielmehr erscheinen, als ob das
von außen hereinwirkende schwache Tages- oder Mond¬
licht einen bläulich färbenden Ton bereits mit sich bringe,
der denn, theils durch den Schatten, theils durch den
fordernden gelben Schein des Kerzenlichtes verstärkt
werde, und daß also auch hiebey eine objective Grund¬
lage Statt finde und zu beachten sey.

Daß das Licht des anbrechenden Tages, wie des
Mondes, einen bleichen Schein werfe, ist bekannt. Ein
bey Tagesanbruch oder im Mondschein angeblicktes Ge¬
sicht erscheint blaß, wie genugsame Erfahrungen bestäti¬
gen. Auch Shakspeare scheint dieses gekannt zu ha¬
ben, denn jener merkwürdigen Stelle, wo Romeo bey
Tagesanbruch von seiner Geliebten geht, und in freyer
Luft Eins dem Andern plötzlich so bleich erscheint, liegt
diese Wahrnehmung sicher zum Grunde. Die bleich¬
machende Wirkung eines solchen Lichtes aber wäre schon
genugsame Andeutung, daß es einen grünlichen oder
bläulichen Schein mit sich führen müsse, indem ein sol¬
ches Licht dieselbige Wirkung thut, wie ein Spiegel aus

lichte erleuchteten, blaͤulichen, oder blaͤulich-gruͤnen Schat¬
ten aber, erklaͤrt er fuͤr ſubjectiv, fuͤr eine geforderte
Farbe, die durch den auf dem weißen Papier verbreite¬
ten gelben Schein des Kerzenlichtes im Auge hervorge¬
rufen werde.

Dieſe Lehre fand ich nun, bey ſorgfaͤltigſter Beob¬
achtung des Phaͤnomens, gleichfalls nicht durchaus be¬
ſtaͤtigt; es wollte mir vielmehr erſcheinen, als ob das
von außen hereinwirkende ſchwache Tages- oder Mond¬
licht einen blaͤulich faͤrbenden Ton bereits mit ſich bringe,
der denn, theils durch den Schatten, theils durch den
fordernden gelben Schein des Kerzenlichtes verſtaͤrkt
werde, und daß alſo auch hiebey eine objective Grund¬
lage Statt finde und zu beachten ſey.

Daß das Licht des anbrechenden Tages, wie des
Mondes, einen bleichen Schein werfe, iſt bekannt. Ein
bey Tagesanbruch oder im Mondſchein angeblicktes Ge¬
ſicht erſcheint blaß, wie genugſame Erfahrungen beſtaͤti¬
gen. Auch Shakſpeare ſcheint dieſes gekannt zu ha¬
ben, denn jener merkwuͤrdigen Stelle, wo Romeo bey
Tagesanbruch von ſeiner Geliebten geht, und in freyer
Luft Eins dem Andern ploͤtzlich ſo bleich erſcheint, liegt
dieſe Wahrnehmung ſicher zum Grunde. Die bleich¬
machende Wirkung eines ſolchen Lichtes aber waͤre ſchon
genugſame Andeutung, daß es einen gruͤnlichen oder
blaͤulichen Schein mit ſich fuͤhren muͤſſe, indem ein ſol¬
ches Licht dieſelbige Wirkung thut, wie ein Spiegel aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0090" n="80"/>
lichte erleuchteten, bla&#x0364;ulichen, oder bla&#x0364;ulich-gru&#x0364;nen Schat¬<lb/>
ten aber, erkla&#x0364;rt er fu&#x0364;r &#x017F;ubjectiv, fu&#x0364;r eine geforderte<lb/>
Farbe, die durch den auf dem weißen Papier verbreite¬<lb/>
ten gelben Schein des Kerzenlichtes im Auge hervorge¬<lb/>
rufen werde.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Lehre fand ich nun, bey &#x017F;orgfa&#x0364;ltig&#x017F;ter Beob¬<lb/>
achtung des Pha&#x0364;nomens, gleichfalls nicht durchaus be¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tigt; es wollte mir vielmehr er&#x017F;cheinen, als ob das<lb/>
von außen hereinwirkende &#x017F;chwache Tages- oder Mond¬<lb/>
licht einen bla&#x0364;ulich fa&#x0364;rbenden Ton bereits mit &#x017F;ich bringe,<lb/>
der denn, theils durch den Schatten, theils durch den<lb/>
fordernden gelben Schein des Kerzenlichtes ver&#x017F;ta&#x0364;rkt<lb/>
werde, und daß al&#x017F;o auch hiebey eine objective Grund¬<lb/>
lage Statt finde und zu beachten &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Daß das Licht des anbrechenden Tages, wie des<lb/>
Mondes, einen bleichen Schein werfe, i&#x017F;t bekannt. Ein<lb/>
bey Tagesanbruch oder im Mond&#x017F;chein angeblicktes Ge¬<lb/>
&#x017F;icht er&#x017F;cheint blaß, wie genug&#x017F;ame Erfahrungen be&#x017F;ta&#x0364;ti¬<lb/>
gen. Auch <hi rendition="#g">Shak&#x017F;peare</hi> &#x017F;cheint die&#x017F;es gekannt zu ha¬<lb/>
ben, denn jener merkwu&#x0364;rdigen Stelle, wo Romeo bey<lb/>
Tagesanbruch von &#x017F;einer Geliebten geht, und in freyer<lb/>
Luft Eins dem Andern plo&#x0364;tzlich &#x017F;o bleich er&#x017F;cheint, liegt<lb/>
die&#x017F;e Wahrnehmung &#x017F;icher zum Grunde. Die bleich¬<lb/>
machende Wirkung eines &#x017F;olchen Lichtes aber wa&#x0364;re &#x017F;chon<lb/>
genug&#x017F;ame Andeutung, daß es einen gru&#x0364;nlichen oder<lb/>
bla&#x0364;ulichen Schein mit &#x017F;ich fu&#x0364;hren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, indem ein &#x017F;ol¬<lb/>
ches Licht die&#x017F;elbige Wirkung thut, wie ein Spiegel aus<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0090] lichte erleuchteten, blaͤulichen, oder blaͤulich-gruͤnen Schat¬ ten aber, erklaͤrt er fuͤr ſubjectiv, fuͤr eine geforderte Farbe, die durch den auf dem weißen Papier verbreite¬ ten gelben Schein des Kerzenlichtes im Auge hervorge¬ rufen werde. Dieſe Lehre fand ich nun, bey ſorgfaͤltigſter Beob¬ achtung des Phaͤnomens, gleichfalls nicht durchaus be¬ ſtaͤtigt; es wollte mir vielmehr erſcheinen, als ob das von außen hereinwirkende ſchwache Tages- oder Mond¬ licht einen blaͤulich faͤrbenden Ton bereits mit ſich bringe, der denn, theils durch den Schatten, theils durch den fordernden gelben Schein des Kerzenlichtes verſtaͤrkt werde, und daß alſo auch hiebey eine objective Grund¬ lage Statt finde und zu beachten ſey. Daß das Licht des anbrechenden Tages, wie des Mondes, einen bleichen Schein werfe, iſt bekannt. Ein bey Tagesanbruch oder im Mondſchein angeblicktes Ge¬ ſicht erſcheint blaß, wie genugſame Erfahrungen beſtaͤti¬ gen. Auch Shakſpeare ſcheint dieſes gekannt zu ha¬ ben, denn jener merkwuͤrdigen Stelle, wo Romeo bey Tagesanbruch von ſeiner Geliebten geht, und in freyer Luft Eins dem Andern ploͤtzlich ſo bleich erſcheint, liegt dieſe Wahrnehmung ſicher zum Grunde. Die bleich¬ machende Wirkung eines ſolchen Lichtes aber waͤre ſchon genugſame Andeutung, daß es einen gruͤnlichen oder blaͤulichen Schein mit ſich fuͤhren muͤſſe, indem ein ſol¬ ches Licht dieſelbige Wirkung thut, wie ein Spiegel aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/90
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/90>, abgerufen am 07.05.2024.