auf dem Schnee gesehen werdende blaue Schatten sey demnach eine geforderte Farbe, unter welcher Rubrik Goethe denn auch das Phänomen abhandelt, und danach die von Saussüre auf dem Montblanc gemachten Beob¬ achtungen sehr consequent zurechtlegt.
Als ich nun in diesen Tagen die ersten Capitel der Farbenlehre abermals betrachtete, um mich zu prüfen, ob es mir gelingen möchte, Goethe's freundlicher Auf¬ forderung nachzukommen und ein Compendium seiner Farbenlehre zu schreiben, war ich, durch Schnee und Sonnenschein begünstigt, in dem Fall, ebengedachtes Phänomen des blauen Schattens abermals näher in Augenschein zu nehmen, wo ich denn zu einiger Über¬ raschung fand, daß Goethe's Ableitung auf einem Irr¬ thum beruhe. Wie ich aber zu diesem Apercü gelangte, will ich sagen.
Aus den Fenstern meines Wohnzimmers sehe ich grade gegen Süden, und zwar auf einen Garten, der durch ein Gebäude begrenzt wird, das, bey dem niede¬ ren Stande der Sonne im Winter, mir entgegen einen so großen Schatten wirft, daß er über die halbe Fläche des Gartens reicht.
Auf diese Schattenfläche im Schnee blickte ich nun vor einigen Tagen, bey völlig blauem Himmel und Sonnenscheine, und war überrascht, die ganze Masse vollkommen blau zu sehen. Eine geforderte Farbe, sagte ich zu mir selber, kann dieses nicht seyn, denn mein
auf dem Schnee geſehen werdende blaue Schatten ſey demnach eine geforderte Farbe, unter welcher Rubrik Goethe denn auch das Phaͤnomen abhandelt, und danach die von Sauſſuͤre auf dem Montblanc gemachten Beob¬ achtungen ſehr conſequent zurechtlegt.
Als ich nun in dieſen Tagen die erſten Capitel der Farbenlehre abermals betrachtete, um mich zu pruͤfen, ob es mir gelingen moͤchte, Goethe's freundlicher Auf¬ forderung nachzukommen und ein Compendium ſeiner Farbenlehre zu ſchreiben, war ich, durch Schnee und Sonnenſchein beguͤnſtigt, in dem Fall, ebengedachtes Phaͤnomen des blauen Schattens abermals naͤher in Augenſchein zu nehmen, wo ich denn zu einiger Über¬ raſchung fand, daß Goethe's Ableitung auf einem Irr¬ thum beruhe. Wie ich aber zu dieſem Aperçuͤ gelangte, will ich ſagen.
Aus den Fenſtern meines Wohnzimmers ſehe ich grade gegen Suͤden, und zwar auf einen Garten, der durch ein Gebaͤude begrenzt wird, das, bey dem niede¬ ren Stande der Sonne im Winter, mir entgegen einen ſo großen Schatten wirft, daß er uͤber die halbe Flaͤche des Gartens reicht.
Auf dieſe Schattenflaͤche im Schnee blickte ich nun vor einigen Tagen, bey voͤllig blauem Himmel und Sonnenſcheine, und war uͤberraſcht, die ganze Maſſe vollkommen blau zu ſehen. Eine geforderte Farbe, ſagte ich zu mir ſelber, kann dieſes nicht ſeyn, denn mein
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auf dem Schnee geſehen werdende blaue Schatten ſey
demnach eine geforderte Farbe, unter welcher Rubrik
Goethe denn auch das Phaͤnomen abhandelt, und danach
die von Sauſſuͤre auf dem Montblanc gemachten Beob¬
achtungen ſehr conſequent zurechtlegt.
Als ich nun in dieſen Tagen die erſten Capitel der
Farbenlehre abermals betrachtete, um mich zu pruͤfen,
ob es mir gelingen moͤchte, Goethe's freundlicher Auf¬
forderung nachzukommen und ein Compendium ſeiner
Farbenlehre zu ſchreiben, war ich, durch Schnee und
Sonnenſchein beguͤnſtigt, in dem Fall, ebengedachtes
Phaͤnomen des blauen Schattens abermals naͤher in
Augenſchein zu nehmen, wo ich denn zu einiger Über¬
raſchung fand, daß Goethe's Ableitung auf einem Irr¬
thum beruhe. Wie ich aber zu dieſem Aperçuͤ gelangte,
will ich ſagen.
Aus den Fenſtern meines Wohnzimmers ſehe ich
grade gegen Suͤden, und zwar auf einen Garten, der
durch ein Gebaͤude begrenzt wird, das, bey dem niede¬
ren Stande der Sonne im Winter, mir entgegen einen
ſo großen Schatten wirft, daß er uͤber die halbe Flaͤche
des Gartens reicht.
Auf dieſe Schattenflaͤche im Schnee blickte ich nun
vor einigen Tagen, bey voͤllig blauem Himmel und
Sonnenſcheine, und war uͤberraſcht, die ganze Maſſe
vollkommen blau zu ſehen. Eine geforderte Farbe, ſagte
ich zu mir ſelber, kann dieſes nicht ſeyn, denn mein
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/87>, abgerufen am 26.11.2024.
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