winnet auch Egmont an Bedeutung durch den Glanz, den die Neigung der Fürstin auf ihn wirft, so wie auch Clärchen gehoben erscheint, wenn wir sehen, daß sie, selbst über Fürstinnen siegend, Egmonts ganze Liebe allein besitzt. Dieses sind alles sehr delicate Wirkungen, die man freylich ohne Gefahr für das Ganze nicht ver¬ letzen darf."
Auch will mir scheinen, sagte ich, daß bey den vie¬ len bedeutenden Männerrollen, eine einzige weibliche Fi¬ gur, wie Clärchen, zu schwach und etwas gedrückt er¬ scheint. Durch die Regentin aber erhält das ganze Gemälde mehr Gleichgewicht. Daß von ihr im Stücke gesprochen wird, will nicht viel sagen; das persönliche Auftreten macht den Eindruck.
"Sie empfinden das Verhältniß sehr richtig, sagte Goethe. -- Als ich das Stück schrieb, habe ich, wie Sie denken können, alles sehr wohl abgewogen, und es ist daher nicht zu verwundern, daß ein Ganzes sehr empfindlich leiden muß, wenn man eine Hauptfigur herausreißt, die ins Ganze gedacht worden und wodurch das Ganze besteht. Aber Schiller hatte in seiner Natur etwas Gewaltsames; er handelte oft zu sehr nach einer vorgefaßten Idee, ohne hinlängliche Achtung vor dem Gegenstande, der zu behandeln war."
Man möchte auf Sie schelten, sagte ich, daß Sie es gelitten und daß Sie in einem so wichtigen Fall ihm so unbedingte Freyheit gegeben.
winnet auch Egmont an Bedeutung durch den Glanz, den die Neigung der Fuͤrſtin auf ihn wirft, ſo wie auch Claͤrchen gehoben erſcheint, wenn wir ſehen, daß ſie, ſelbſt uͤber Fuͤrſtinnen ſiegend, Egmonts ganze Liebe allein beſitzt. Dieſes ſind alles ſehr delicate Wirkungen, die man freylich ohne Gefahr fuͤr das Ganze nicht ver¬ letzen darf.“
Auch will mir ſcheinen, ſagte ich, daß bey den vie¬ len bedeutenden Maͤnnerrollen, eine einzige weibliche Fi¬ gur, wie Claͤrchen, zu ſchwach und etwas gedruͤckt er¬ ſcheint. Durch die Regentin aber erhaͤlt das ganze Gemaͤlde mehr Gleichgewicht. Daß von ihr im Stuͤcke geſprochen wird, will nicht viel ſagen; das perſoͤnliche Auftreten macht den Eindruck.
„Sie empfinden das Verhaͤltniß ſehr richtig, ſagte Goethe. — Als ich das Stuͤck ſchrieb, habe ich, wie Sie denken koͤnnen, alles ſehr wohl abgewogen, und es iſt daher nicht zu verwundern, daß ein Ganzes ſehr empfindlich leiden muß, wenn man eine Hauptfigur herausreißt, die ins Ganze gedacht worden und wodurch das Ganze beſteht. Aber Schiller hatte in ſeiner Natur etwas Gewaltſames; er handelte oft zu ſehr nach einer vorgefaßten Idee, ohne hinlaͤngliche Achtung vor dem Gegenſtande, der zu behandeln war.“
Man moͤchte auf Sie ſchelten, ſagte ich, daß Sie es gelitten und daß Sie in einem ſo wichtigen Fall ihm ſo unbedingte Freyheit gegeben.
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0085"n="75"/>
winnet auch Egmont an Bedeutung durch den Glanz,<lb/>
den die Neigung der Fuͤrſtin auf ihn wirft, ſo wie auch<lb/>
Claͤrchen gehoben erſcheint, wenn wir ſehen, daß ſie,<lb/>ſelbſt uͤber Fuͤrſtinnen ſiegend, Egmonts ganze Liebe<lb/>
allein beſitzt. Dieſes ſind alles ſehr delicate Wirkungen,<lb/>
die man freylich ohne Gefahr fuͤr das Ganze nicht ver¬<lb/>
letzen darf.“</p><lb/><p>Auch will mir ſcheinen, ſagte ich, daß bey den vie¬<lb/>
len bedeutenden Maͤnnerrollen, eine einzige weibliche Fi¬<lb/>
gur, wie Claͤrchen, zu ſchwach und etwas gedruͤckt er¬<lb/>ſcheint. Durch die Regentin aber erhaͤlt das ganze<lb/>
Gemaͤlde mehr Gleichgewicht. Daß von ihr im Stuͤcke<lb/>
geſprochen wird, will nicht viel ſagen; das perſoͤnliche<lb/>
Auftreten macht den Eindruck.</p><lb/><p>„Sie empfinden das Verhaͤltniß ſehr richtig, ſagte<lb/>
Goethe. — Als ich das Stuͤck ſchrieb, habe ich, wie<lb/>
Sie denken koͤnnen, alles ſehr wohl abgewogen, und<lb/>
es iſt daher nicht zu verwundern, daß ein Ganzes ſehr<lb/>
empfindlich leiden muß, wenn man eine Hauptfigur<lb/>
herausreißt, die ins Ganze gedacht worden und wodurch<lb/>
das Ganze beſteht. Aber Schiller hatte in ſeiner Natur<lb/>
etwas Gewaltſames; er handelte oft zu ſehr nach einer<lb/>
vorgefaßten Idee, ohne hinlaͤngliche Achtung vor dem<lb/>
Gegenſtande, der zu behandeln war.“</p><lb/><p>Man moͤchte auf Sie ſchelten, ſagte ich, daß Sie<lb/>
es gelitten und daß Sie in einem ſo wichtigen Fall ihm<lb/>ſo unbedingte Freyheit gegeben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[75/0085]
winnet auch Egmont an Bedeutung durch den Glanz,
den die Neigung der Fuͤrſtin auf ihn wirft, ſo wie auch
Claͤrchen gehoben erſcheint, wenn wir ſehen, daß ſie,
ſelbſt uͤber Fuͤrſtinnen ſiegend, Egmonts ganze Liebe
allein beſitzt. Dieſes ſind alles ſehr delicate Wirkungen,
die man freylich ohne Gefahr fuͤr das Ganze nicht ver¬
letzen darf.“
Auch will mir ſcheinen, ſagte ich, daß bey den vie¬
len bedeutenden Maͤnnerrollen, eine einzige weibliche Fi¬
gur, wie Claͤrchen, zu ſchwach und etwas gedruͤckt er¬
ſcheint. Durch die Regentin aber erhaͤlt das ganze
Gemaͤlde mehr Gleichgewicht. Daß von ihr im Stuͤcke
geſprochen wird, will nicht viel ſagen; das perſoͤnliche
Auftreten macht den Eindruck.
„Sie empfinden das Verhaͤltniß ſehr richtig, ſagte
Goethe. — Als ich das Stuͤck ſchrieb, habe ich, wie
Sie denken koͤnnen, alles ſehr wohl abgewogen, und
es iſt daher nicht zu verwundern, daß ein Ganzes ſehr
empfindlich leiden muß, wenn man eine Hauptfigur
herausreißt, die ins Ganze gedacht worden und wodurch
das Ganze beſteht. Aber Schiller hatte in ſeiner Natur
etwas Gewaltſames; er handelte oft zu ſehr nach einer
vorgefaßten Idee, ohne hinlaͤngliche Achtung vor dem
Gegenſtande, der zu behandeln war.“
Man moͤchte auf Sie ſchelten, ſagte ich, daß Sie
es gelitten und daß Sie in einem ſo wichtigen Fall ihm
ſo unbedingte Freyheit gegeben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/85>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.