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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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und Kupferstichen vorlegen. Nachdem er einige Blätter
stille betrachtet und umgewendet, reichte er mir einen
schönen Stich nach einem Gemälde von Ostade. "Hier,
sagte er, haben Sie die Scene zu unserm Good man
und good wife." -- Ich betrachtete das Blatt mit
großer Freude. Ich sah das Innere einer Bauernwoh¬
nung vorgestellt, wo Küche, Wohn- und Schlafzimmer
alles in Einem und nur ein Raum war. Mann und
Frau saßen sich nahe gegenüber; die Frau spinnend, der
Mann Garn windend; ein Bube zu ihren Füßen. Im
Hintergrunde sah man ein Bette, so wie überall nur
das roheste allernothwendigste Hausgeräthe; die Thür
ging unmittelbar ins Freye. Den Begriff beschränkten
ehelichen Glückes gab dieses Blatt vollkommen; Zufrie¬
denheit, Behagen und ein gewisses Schwelgen in lie¬
benden ehelichen Empfindungen, lag auf den Gesichtern
vom Manne und der Frau wie sie sich einander an¬
blickten. Es wird einem wohler zu Muthe, sagte ich,
je länger man dieses Blatt ansieht; es hat einen Reiz
ganz eigener Art. "Es ist der Reiz der Sinnlichkeit,
sagte Goethe, den keine Kunst entbehren kann, und der
in Gegenständen solcher Art in seiner ganzen Fülle herrscht.
Bey Darstellungen höherer Richtung dagegen, wo der
Künstler ins Ideelle geht, ist es schwer, daß die gehö¬
rige Sinnlichkeit mitgehe, und daß er nicht trocken und
kalt werde. Da können nun Jugend oder Alter günstig
oder hinderlich seyn, und der Künstler muß daher seine

und Kupferſtichen vorlegen. Nachdem er einige Blaͤtter
ſtille betrachtet und umgewendet, reichte er mir einen
ſchoͤnen Stich nach einem Gemaͤlde von Oſtade. „Hier,
ſagte er, haben Sie die Scene zu unſerm Good man
und good wife.“ — Ich betrachtete das Blatt mit
großer Freude. Ich ſah das Innere einer Bauernwoh¬
nung vorgeſtellt, wo Kuͤche, Wohn- und Schlafzimmer
alles in Einem und nur ein Raum war. Mann und
Frau ſaßen ſich nahe gegenuͤber; die Frau ſpinnend, der
Mann Garn windend; ein Bube zu ihren Fuͤßen. Im
Hintergrunde ſah man ein Bette, ſo wie uͤberall nur
das roheſte allernothwendigſte Hausgeraͤthe; die Thuͤr
ging unmittelbar ins Freye. Den Begriff beſchraͤnkten
ehelichen Gluͤckes gab dieſes Blatt vollkommen; Zufrie¬
denheit, Behagen und ein gewiſſes Schwelgen in lie¬
benden ehelichen Empfindungen, lag auf den Geſichtern
vom Manne und der Frau wie ſie ſich einander an¬
blickten. Es wird einem wohler zu Muthe, ſagte ich,
je laͤnger man dieſes Blatt anſieht; es hat einen Reiz
ganz eigener Art. „Es iſt der Reiz der Sinnlichkeit,
ſagte Goethe, den keine Kunſt entbehren kann, und der
in Gegenſtaͤnden ſolcher Art in ſeiner ganzen Fuͤlle herrſcht.
Bey Darſtellungen hoͤherer Richtung dagegen, wo der
Kuͤnſtler ins Ideelle geht, iſt es ſchwer, daß die gehoͤ¬
rige Sinnlichkeit mitgehe, und daß er nicht trocken und
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[57/0067] und Kupferſtichen vorlegen. Nachdem er einige Blaͤtter ſtille betrachtet und umgewendet, reichte er mir einen ſchoͤnen Stich nach einem Gemaͤlde von Oſtade. „Hier, ſagte er, haben Sie die Scene zu unſerm Good man und good wife.“ — Ich betrachtete das Blatt mit großer Freude. Ich ſah das Innere einer Bauernwoh¬ nung vorgeſtellt, wo Kuͤche, Wohn- und Schlafzimmer alles in Einem und nur ein Raum war. Mann und Frau ſaßen ſich nahe gegenuͤber; die Frau ſpinnend, der Mann Garn windend; ein Bube zu ihren Fuͤßen. Im Hintergrunde ſah man ein Bette, ſo wie uͤberall nur das roheſte allernothwendigſte Hausgeraͤthe; die Thuͤr ging unmittelbar ins Freye. Den Begriff beſchraͤnkten ehelichen Gluͤckes gab dieſes Blatt vollkommen; Zufrie¬ denheit, Behagen und ein gewiſſes Schwelgen in lie¬ benden ehelichen Empfindungen, lag auf den Geſichtern vom Manne und der Frau wie ſie ſich einander an¬ blickten. Es wird einem wohler zu Muthe, ſagte ich, je laͤnger man dieſes Blatt anſieht; es hat einen Reiz ganz eigener Art. „Es iſt der Reiz der Sinnlichkeit, ſagte Goethe, den keine Kunſt entbehren kann, und der in Gegenſtaͤnden ſolcher Art in ſeiner ganzen Fuͤlle herrſcht. Bey Darſtellungen hoͤherer Richtung dagegen, wo der Kuͤnſtler ins Ideelle geht, iſt es ſchwer, daß die gehoͤ¬ rige Sinnlichkeit mitgehe, und daß er nicht trocken und kalt werde. Da koͤnnen nun Jugend oder Alter guͤnſtig oder hinderlich ſeyn, und der Kuͤnſtler muß daher ſeine

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/67>, abgerufen am 24.11.2024.