immer nur noch wenig von ihm, sagte ich; ich halte mich noch immer in dem Kreise seiner kleinen Gedichte an Personen, die ich lese und immer wieder lese und von denen ich mich nicht trennen kann.
"Eigentlich, sagte Goethe, ist alles gut, was ein so großes Talent wie Voltaire schreibt, wiewohl ich nicht alle seine Frechheiten gelten lassen möchte. Aber Sie haben nicht Unrecht, wenn Sie so lange bey seinen klei¬ nen Gedichten an Personen verweilen; sie gehören ohne Frage zu den liebenswürdigsten Sachen, die er geschrieben. Es ist darin keine Zeile, die nicht voller Geist, Klarheit, Heiterkeit und Anmuth wäre."
Und man sieht darin, sagte ich, seine Verhältnisse zu allen Großen und Mächtigen der Erde, und bemerkt mit Freuden, welche vornehme Figur Voltaire selber spielt, indem er sich den Höchsten gleich zu empfinden scheint, und man ihm nie anmerkt, daß irgend eine Majestät seinen freyen Geist nur einen Augenblick hat geniren können.
"Ja, sagte Goethe, vornehm war er. Und bey all seiner Freyheit und Verwegenheit hat er sich immer in den Grenzen des Schicklichen zu halten gewußt, welches fast noch mehr sagen will. Ich kann wohl die Kaiserin von Östreich als eine Autorität in solchen Dingen anführen, die sehr oft gegen mich wiederholt hat, daß in Voltaire's Gedichten an fürstliche Personen
II. 4
immer nur noch wenig von ihm, ſagte ich; ich halte mich noch immer in dem Kreiſe ſeiner kleinen Gedichte an Perſonen, die ich leſe und immer wieder leſe und von denen ich mich nicht trennen kann.
„Eigentlich, ſagte Goethe, iſt alles gut, was ein ſo großes Talent wie Voltaire ſchreibt, wiewohl ich nicht alle ſeine Frechheiten gelten laſſen moͤchte. Aber Sie haben nicht Unrecht, wenn Sie ſo lange bey ſeinen klei¬ nen Gedichten an Perſonen verweilen; ſie gehoͤren ohne Frage zu den liebenswuͤrdigſten Sachen, die er geſchrieben. Es iſt darin keine Zeile, die nicht voller Geiſt, Klarheit, Heiterkeit und Anmuth waͤre.“
Und man ſieht darin, ſagte ich, ſeine Verhaͤltniſſe zu allen Großen und Maͤchtigen der Erde, und bemerkt mit Freuden, welche vornehme Figur Voltaire ſelber ſpielt, indem er ſich den Hoͤchſten gleich zu empfinden ſcheint, und man ihm nie anmerkt, daß irgend eine Majeſtaͤt ſeinen freyen Geiſt nur einen Augenblick hat geniren koͤnnen.
„Ja, ſagte Goethe, vornehm war er. Und bey all ſeiner Freyheit und Verwegenheit hat er ſich immer in den Grenzen des Schicklichen zu halten gewußt, welches faſt noch mehr ſagen will. Ich kann wohl die Kaiſerin von Öſtreich als eine Autoritaͤt in ſolchen Dingen anfuͤhren, die ſehr oft gegen mich wiederholt hat, daß in Voltaire's Gedichten an fuͤrſtliche Perſonen
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immer nur noch wenig von ihm, ſagte ich; ich halte
mich noch immer in dem Kreiſe ſeiner kleinen Gedichte
an Perſonen, die ich leſe und immer wieder leſe und
von denen ich mich nicht trennen kann.
„Eigentlich, ſagte Goethe, iſt alles gut, was ein
ſo großes Talent wie Voltaire ſchreibt, wiewohl ich nicht
alle ſeine Frechheiten gelten laſſen moͤchte. Aber Sie
haben nicht Unrecht, wenn Sie ſo lange bey ſeinen klei¬
nen Gedichten an Perſonen verweilen; ſie gehoͤren
ohne Frage zu den liebenswuͤrdigſten Sachen, die er
geſchrieben. Es iſt darin keine Zeile, die nicht voller
Geiſt, Klarheit, Heiterkeit und Anmuth waͤre.“
Und man ſieht darin, ſagte ich, ſeine Verhaͤltniſſe
zu allen Großen und Maͤchtigen der Erde, und bemerkt
mit Freuden, welche vornehme Figur Voltaire ſelber
ſpielt, indem er ſich den Hoͤchſten gleich zu empfinden
ſcheint, und man ihm nie anmerkt, daß irgend eine
Majeſtaͤt ſeinen freyen Geiſt nur einen Augenblick hat
geniren koͤnnen.
„Ja, ſagte Goethe, vornehm war er. Und bey
all ſeiner Freyheit und Verwegenheit hat er ſich immer
in den Grenzen des Schicklichen zu halten gewußt,
welches faſt noch mehr ſagen will. Ich kann wohl
die Kaiſerin von Öſtreich als eine Autoritaͤt in ſolchen
Dingen anfuͤhren, die ſehr oft gegen mich wiederholt
hat, daß in Voltaire's Gedichten an fuͤrſtliche Perſonen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/59>, abgerufen am 23.11.2024.
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