begreifen. Was aber die Newtonischen Schüler sich da¬ bey denken mögen, daß die Luft die Eigenschaft besitze, alle übrigen Farben zu verschlucken und nur die blaue zurückzuwerfen, dieses ist mir völlig unbegreiflich, und ich sehe nicht ein, welchen Nutzen und welche Freude man an einer Lehre haben kann, wobey jeder Gedanke völlig stille steht und jede gesunde Anschauung durchaus verschwindet.
"Gute Seele, sagte Goethe, um Gedanken und An¬ schauungen ist es den Leuten auch gar nicht zu thun. Sie sind zufrieden, wenn sie nur Worte haben womit sie verkehren, welches schon mein Mephistopheles gewußt und nicht übel ausgesprochen hat:
Vor allem haltet euch an Worte! Dann geht ihr durch die sich're Pforte Zum Tempel der Gewißheit ein; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. etc.
Goethe recitirte diese Stelle lachend und schien überall in der besten Laune. "Es ist nur gut, sagte er, daß schon alles gedruckt steht, und so will ich fortfahren, fer¬ ner drucken zu lassen, was ich gegen falsche Lehren und deren Verbreiter noch auf dem Herzen habe."
"Treffliche Menschen, fuhr er nach einer Pause fort, kommen jetzt in den Naturwissenschaften heran und ich sehe ihnen mit Freuden zu. Andere fangen gut an, aber sie halten sich nicht; ihr vorwaltendes Subjective führt
begreifen. Was aber die Newtoniſchen Schuͤler ſich da¬ bey denken moͤgen, daß die Luft die Eigenſchaft beſitze, alle uͤbrigen Farben zu verſchlucken und nur die blaue zuruͤckzuwerfen, dieſes iſt mir voͤllig unbegreiflich, und ich ſehe nicht ein, welchen Nutzen und welche Freude man an einer Lehre haben kann, wobey jeder Gedanke voͤllig ſtille ſteht und jede geſunde Anſchauung durchaus verſchwindet.
„Gute Seele, ſagte Goethe, um Gedanken und An¬ ſchauungen iſt es den Leuten auch gar nicht zu thun. Sie ſind zufrieden, wenn ſie nur Worte haben womit ſie verkehren, welches ſchon mein Mephiſtopheles gewußt und nicht uͤbel ausgeſprochen hat:
Vor allem haltet euch an Worte! Dann geht ihr durch die ſich're Pforte Zum Tempel der Gewißheit ein; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein. ꝛc.
Goethe recitirte dieſe Stelle lachend und ſchien uͤberall in der beſten Laune. „Es iſt nur gut, ſagte er, daß ſchon alles gedruckt ſteht, und ſo will ich fortfahren, fer¬ ner drucken zu laſſen, was ich gegen falſche Lehren und deren Verbreiter noch auf dem Herzen habe.“
„Treffliche Menſchen, fuhr er nach einer Pauſe fort, kommen jetzt in den Naturwiſſenſchaften heran und ich ſehe ihnen mit Freuden zu. Andere fangen gut an, aber ſie halten ſich nicht; ihr vorwaltendes Subjective fuͤhrt
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begreifen. Was aber die Newtoniſchen Schuͤler ſich da¬
bey denken moͤgen, daß die Luft die Eigenſchaft beſitze,
alle uͤbrigen Farben zu verſchlucken und nur die blaue
zuruͤckzuwerfen, dieſes iſt mir voͤllig unbegreiflich, und
ich ſehe nicht ein, welchen Nutzen und welche Freude
man an einer Lehre haben kann, wobey jeder Gedanke
voͤllig ſtille ſteht und jede geſunde Anſchauung durchaus
verſchwindet.
„Gute Seele, ſagte Goethe, um Gedanken und An¬
ſchauungen iſt es den Leuten auch gar nicht zu thun.
Sie ſind zufrieden, wenn ſie nur Worte haben womit
ſie verkehren, welches ſchon mein Mephiſtopheles gewußt
und nicht uͤbel ausgeſprochen hat:
Vor allem haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die ſich're Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein;
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein. ꝛc.
Goethe recitirte dieſe Stelle lachend und ſchien uͤberall
in der beſten Laune. „Es iſt nur gut, ſagte er, daß
ſchon alles gedruckt ſteht, und ſo will ich fortfahren, fer¬
ner drucken zu laſſen, was ich gegen falſche Lehren und
deren Verbreiter noch auf dem Herzen habe.“
„Treffliche Menſchen, fuhr er nach einer Pauſe fort,
kommen jetzt in den Naturwiſſenſchaften heran und ich
ſehe ihnen mit Freuden zu. Andere fangen gut an, aber
ſie halten ſich nicht; ihr vorwaltendes Subjective fuͤhrt
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/55>, abgerufen am 05.07.2024.
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