sie auf Basreliefs vorkommen, häufig sehr steife, unförm¬ liche und unvollkommene Geschöpfe seyen.
"Ich will darüber nicht streiten, sagte Goethe, aber vor allen Dingen muß man unterscheiden, aus welcher Zeit und von welchem Künstler solche Werke herrühren. Denn so ließen sich wohl Musterstücke in Menge vorle¬ gen, wo griechische Künstler, in ihren Darstellungen von Thieren, die Natur nicht allein erreicht, sondern sogar weit übertroffen haben. Die Engländer, die ersten Pferdekenner der Welt, müssen doch jetzt von zwei an¬ tiken Pferdeköpfen gestehen, daß sie in ihren Formen so vollkommen befunden werden, wie jetzt gar keine Racen mehr auf der Erde existiren. Es sind diese Köpfe aus der besten griechischen Zeit; und wenn uns nun solche Werke in Erstaunen setzen, so haben wir nicht sowohl anzunehmen, daß jene Künstler nach einer mehr vollkom¬ menen Natur gearbeitet haben, wie die jetzige ist, als vielmehr, daß sie im Fortschritte der Zeit und Kunst sel¬ ber etwas geworden waren, so daß sie sich mit persön¬ licher Großheit an die Natur wandten."
Während dieses gesprochen wurde, stand ich mit einer Dame seitwärts an einem Tisch, um ein Kupfer¬ werk zu betrachten, und ich konnte zu Goethe's Worten nur ein halbes Ohr wenden; desto tiefer aber ergriff ich sie mit meiner Seele.
Die Gesellschaft war nach und nach gegangen und
ſie auf Basreliefs vorkommen, haͤufig ſehr ſteife, unfoͤrm¬ liche und unvollkommene Geſchoͤpfe ſeyen.
„Ich will daruͤber nicht ſtreiten, ſagte Goethe, aber vor allen Dingen muß man unterſcheiden, aus welcher Zeit und von welchem Kuͤnſtler ſolche Werke herruͤhren. Denn ſo ließen ſich wohl Muſterſtuͤcke in Menge vorle¬ gen, wo griechiſche Kuͤnſtler, in ihren Darſtellungen von Thieren, die Natur nicht allein erreicht, ſondern ſogar weit uͤbertroffen haben. Die Englaͤnder, die erſten Pferdekenner der Welt, muͤſſen doch jetzt von zwei an¬ tiken Pferdekoͤpfen geſtehen, daß ſie in ihren Formen ſo vollkommen befunden werden, wie jetzt gar keine Raçen mehr auf der Erde exiſtiren. Es ſind dieſe Koͤpfe aus der beſten griechiſchen Zeit; und wenn uns nun ſolche Werke in Erſtaunen ſetzen, ſo haben wir nicht ſowohl anzunehmen, daß jene Kuͤnſtler nach einer mehr vollkom¬ menen Natur gearbeitet haben, wie die jetzige iſt, als vielmehr, daß ſie im Fortſchritte der Zeit und Kunſt ſel¬ ber etwas geworden waren, ſo daß ſie ſich mit perſoͤn¬ licher Großheit an die Natur wandten.“
Waͤhrend dieſes geſprochen wurde, ſtand ich mit einer Dame ſeitwaͤrts an einem Tiſch, um ein Kupfer¬ werk zu betrachten, und ich konnte zu Goethe's Worten nur ein halbes Ohr wenden; deſto tiefer aber ergriff ich ſie mit meiner Seele.
Die Geſellſchaft war nach und nach gegangen und
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ſie auf Basreliefs vorkommen, haͤufig ſehr ſteife, unfoͤrm¬
liche und unvollkommene Geſchoͤpfe ſeyen.
„Ich will daruͤber nicht ſtreiten, ſagte Goethe, aber
vor allen Dingen muß man unterſcheiden, aus welcher
Zeit und von welchem Kuͤnſtler ſolche Werke herruͤhren.
Denn ſo ließen ſich wohl Muſterſtuͤcke in Menge vorle¬
gen, wo griechiſche Kuͤnſtler, in ihren Darſtellungen von
Thieren, die Natur nicht allein erreicht, ſondern ſogar
weit uͤbertroffen haben. Die Englaͤnder, die erſten
Pferdekenner der Welt, muͤſſen doch jetzt von zwei an¬
tiken Pferdekoͤpfen geſtehen, daß ſie in ihren Formen ſo
vollkommen befunden werden, wie jetzt gar keine Raçen
mehr auf der Erde exiſtiren. Es ſind dieſe Koͤpfe aus
der beſten griechiſchen Zeit; und wenn uns nun ſolche
Werke in Erſtaunen ſetzen, ſo haben wir nicht ſowohl
anzunehmen, daß jene Kuͤnſtler nach einer mehr vollkom¬
menen Natur gearbeitet haben, wie die jetzige iſt, als
vielmehr, daß ſie im Fortſchritte der Zeit und Kunſt ſel¬
ber etwas geworden waren, ſo daß ſie ſich mit perſoͤn¬
licher Großheit an die Natur wandten.“
Waͤhrend dieſes geſprochen wurde, ſtand ich mit
einer Dame ſeitwaͤrts an einem Tiſch, um ein Kupfer¬
werk zu betrachten, und ich konnte zu Goethe's Worten
nur ein halbes Ohr wenden; deſto tiefer aber ergriff ich
ſie mit meiner Seele.
Die Geſellſchaft war nach und nach gegangen und
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/49>, abgerufen am 24.11.2024.
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