allein gar bald wird er auf Erscheinungen stoßen, wo er mit einer so kleinen Ansicht nicht ausreicht, und wo er, ohne höheren Halt, sich in lauter Widersprüchen verwickelt."
"Solche Nützlichkeitslehrer sagen wohl: der Ochse habe Hörner um sich damit zu wehren. Nun frage ich aber: warum hat das Schaf keine? und, wenn es welche hat, warum sind sie ihm um die Ohren gewickelt, so daß sie ihm zu nichts dienen?"
"Etwas Anderes aber ist es, wenn ich sage: der Ochse wehrt sich mit seinen Hörnern weil er sie hat."
"Die Frage nach dem Zweck, die Frage warum? ist durchaus nicht wissenschaftlich. Etwas weiter aber kommt man mit der Frage Wie? -- Denn wenn ich frage: wie hat der Ochse Hörner? so führet mich das auf die Betrachtung seiner Organisation, und belehret mich zugleich, warum der Löwe keine Hörner hat und haben kann."
"So hat der Mensch in seinem Schädel zwey un¬ ausgefüllte hohle Stellen. Die Frage Warum? würde hier nicht weit reichen, wogegen aber die Frage Wie? mich belehret, daß diese Höhlen Reste des thierischen Schädels sind, die sich bey solchen geringeren Organi¬ sationen in stärkerem Maße befinden, und die sich beym Menschen, trotz seiner Höhe, noch nicht ganz verloren haben."
"Die Nützlichkeitslehrer würden glauben ihren Gott
allein gar bald wird er auf Erſcheinungen ſtoßen, wo er mit einer ſo kleinen Anſicht nicht ausreicht, und wo er, ohne hoͤheren Halt, ſich in lauter Widerſpruͤchen verwickelt.“
„Solche Nuͤtzlichkeitslehrer ſagen wohl: der Ochſe habe Hoͤrner um ſich damit zu wehren. Nun frage ich aber: warum hat das Schaf keine? und, wenn es welche hat, warum ſind ſie ihm um die Ohren gewickelt, ſo daß ſie ihm zu nichts dienen?“
„Etwas Anderes aber iſt es, wenn ich ſage: der Ochſe wehrt ſich mit ſeinen Hoͤrnern weil er ſie hat.“
„Die Frage nach dem Zweck, die Frage warum? iſt durchaus nicht wiſſenſchaftlich. Etwas weiter aber kommt man mit der Frage Wie? — Denn wenn ich frage: wie hat der Ochſe Hoͤrner? ſo fuͤhret mich das auf die Betrachtung ſeiner Organiſation, und belehret mich zugleich, warum der Loͤwe keine Hoͤrner hat und haben kann.“
„So hat der Menſch in ſeinem Schaͤdel zwey un¬ ausgefuͤllte hohle Stellen. Die Frage Warum? wuͤrde hier nicht weit reichen, wogegen aber die Frage Wie? mich belehret, daß dieſe Hoͤhlen Reſte des thieriſchen Schaͤdels ſind, die ſich bey ſolchen geringeren Organi¬ ſationen in ſtaͤrkerem Maße befinden, und die ſich beym Menſchen, trotz ſeiner Hoͤhe, noch nicht ganz verloren haben.“
„Die Nuͤtzlichkeitslehrer wuͤrden glauben ihren Gott
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allein gar bald wird er auf Erſcheinungen ſtoßen, wo
er mit einer ſo kleinen Anſicht nicht ausreicht, und wo
er, ohne hoͤheren Halt, ſich in lauter Widerſpruͤchen
verwickelt.“
„Solche Nuͤtzlichkeitslehrer ſagen wohl: der Ochſe
habe Hoͤrner um ſich damit zu wehren. Nun frage ich
aber: warum hat das Schaf keine? und, wenn es
welche hat, warum ſind ſie ihm um die Ohren gewickelt,
ſo daß ſie ihm zu nichts dienen?“
„Etwas Anderes aber iſt es, wenn ich ſage: der
Ochſe wehrt ſich mit ſeinen Hoͤrnern weil er ſie hat.“
„Die Frage nach dem Zweck, die Frage warum?
iſt durchaus nicht wiſſenſchaftlich. Etwas weiter aber
kommt man mit der Frage Wie? — Denn wenn ich
frage: wie hat der Ochſe Hoͤrner? ſo fuͤhret mich das
auf die Betrachtung ſeiner Organiſation, und belehret
mich zugleich, warum der Loͤwe keine Hoͤrner hat und
haben kann.“
„So hat der Menſch in ſeinem Schaͤdel zwey un¬
ausgefuͤllte hohle Stellen. Die Frage Warum? wuͤrde
hier nicht weit reichen, wogegen aber die Frage Wie?
mich belehret, daß dieſe Hoͤhlen Reſte des thieriſchen
Schaͤdels ſind, die ſich bey ſolchen geringeren Organi¬
ſationen in ſtaͤrkerem Maße befinden, und die ſich beym
Menſchen, trotz ſeiner Hoͤhe, noch nicht ganz verloren
haben.“
„Die Nuͤtzlichkeitslehrer wuͤrden glauben ihren Gott
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/293>, abgerufen am 05.07.2024.
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