Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

fertig, die Helena verbunden, und demnach das Schwie¬
rigste gethan. Das Ende ist, wie Sie mir sagten, schon
da, und so wird, wie ich hoffe, der vierte Act sich Ih¬
nen bald überwunden ergeben, und etwas Großes wäre
zu Stande gebracht, woran künftige Jahrhunderte sich
erbauen und üben möchten. Ich freue mich dazu ganz
außerordentlich, und werde jede Nachricht, die mir das
Vorrücken der poetischen Mächte vermeldet, mit Jubel
empfangen.

Ich habe auf meiner Reise häufige Gelegenheit ge¬
habt, des Faust zu gedenken, und daraus einige classi¬
sche Stellen anzuwenden. Wenn ich in Italien die schö¬
nen Menschen und das Gedeihen der frischen Kinder
sah, waren mir die Verse zugegen:

Hier ist das Wohlbehagen erblich!
Die Wange heitert wie der Mund;
Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich,
Sie sind zufrieden und gesund.
Und so entwickelt sich am reinen Tage
Zu Vaterkraft d[a]s holde Kind.
Wir staunen drob, noch immer bleibt die Frage:
Ob's Götter, ob es Menschen sind.

Dagegen wenn ich, von dem Anblick der schönen Natur
hingerissen, Herz und Augen an Seen, Bergen und
Thälern weidete, schien irgend ein unsichtbarer kleiner
Teufel sein Spiel mit mir zu treiben, indem er mir
jedesmal die Verse zuflüsterte:

Und hätt' ich nicht gerüttelt und geschüttelt,
Wie wäre diese Welt so schön?

fertig, die Helena verbunden, und demnach das Schwie¬
rigſte gethan. Das Ende iſt, wie Sie mir ſagten, ſchon
da, und ſo wird, wie ich hoffe, der vierte Act ſich Ih¬
nen bald uͤberwunden ergeben, und etwas Großes waͤre
zu Stande gebracht, woran kuͤnftige Jahrhunderte ſich
erbauen und uͤben moͤchten. Ich freue mich dazu ganz
außerordentlich, und werde jede Nachricht, die mir das
Vorruͤcken der poetiſchen Maͤchte vermeldet, mit Jubel
empfangen.

Ich habe auf meiner Reiſe haͤufige Gelegenheit ge¬
habt, des Fauſt zu gedenken, und daraus einige claſſi¬
ſche Stellen anzuwenden. Wenn ich in Italien die ſchoͤ¬
nen Menſchen und das Gedeihen der friſchen Kinder
ſah, waren mir die Verſe zugegen:

Hier iſt das Wohlbehagen erblich!
Die Wange heitert wie der Mund;
Ein jeder iſt an ſeinem Platz unſterblich,
Sie ſind zufrieden und geſund.
Und ſo entwickelt ſich am reinen Tage
Zu Vaterkraft d[a]s holde Kind.
Wir ſtaunen drob, noch immer bleibt die Frage:
Ob's Goͤtter, ob es Menſchen ſind.

Dagegen wenn ich, von dem Anblick der ſchoͤnen Natur
hingeriſſen, Herz und Augen an Seen, Bergen und
Thaͤlern weidete, ſchien irgend ein unſichtbarer kleiner
Teufel ſein Spiel mit mir zu treiben, indem er mir
jedesmal die Verſe zufluͤſterte:

Und haͤtt' ich nicht geruͤttelt und geſchuͤttelt,
Wie waͤre dieſe Welt ſo ſchoͤn?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0241" n="231"/>
fertig, die Helena verbunden, und demnach das Schwie¬<lb/>
rig&#x017F;te gethan. Das Ende i&#x017F;t, wie Sie mir &#x017F;agten, &#x017F;chon<lb/>
da, und &#x017F;o wird, wie ich hoffe, der vierte Act &#x017F;ich Ih¬<lb/>
nen bald u&#x0364;berwunden ergeben, und etwas Großes wa&#x0364;re<lb/>
zu Stande gebracht, woran ku&#x0364;nftige Jahrhunderte &#x017F;ich<lb/>
erbauen und u&#x0364;ben mo&#x0364;chten. Ich freue mich dazu ganz<lb/>
außerordentlich, und werde jede Nachricht, die mir das<lb/>
Vorru&#x0364;cken der poeti&#x017F;chen Ma&#x0364;chte vermeldet, mit Jubel<lb/>
empfangen.</p><lb/>
          <p xml:id="p-0241a" next="p-0241b">Ich habe auf meiner Rei&#x017F;e ha&#x0364;ufige Gelegenheit ge¬<lb/>
habt, des <hi rendition="#g">Fau&#x017F;t</hi> zu gedenken, und daraus einige cla&#x017F;&#x017F;<lb/>
&#x017F;che Stellen anzuwenden. Wenn ich in Italien die &#x017F;cho&#x0364;¬<lb/>
nen Men&#x017F;chen und das Gedeihen der fri&#x017F;chen Kinder<lb/>
&#x017F;ah, waren mir die Ver&#x017F;e zugegen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Hier i&#x017F;t das Wohlbehagen erblich!</l><lb/>
              <l>Die Wange heitert wie der Mund;</l><lb/>
              <l>Ein jeder i&#x017F;t an &#x017F;einem Platz un&#x017F;terblich,</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;ind zufrieden und ge&#x017F;und.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Und &#x017F;o entwickelt &#x017F;ich am reinen Tage</l><lb/>
              <l>Zu Vaterkraft d<supplied>a</supplied>s holde Kind.</l><lb/>
              <l>Wir &#x017F;taunen drob, noch immer bleibt die Frage:</l><lb/>
              <l>Ob's Go&#x0364;tter, ob es Men&#x017F;chen &#x017F;ind.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <p xml:id="p-0241b" prev="p-0241a" next="p-0242">Dagegen wenn ich, von dem Anblick der &#x017F;cho&#x0364;nen Natur<lb/>
hingeri&#x017F;&#x017F;en, Herz und Augen an Seen, Bergen und<lb/>
Tha&#x0364;lern weidete, &#x017F;chien irgend ein un&#x017F;ichtbarer kleiner<lb/>
Teufel &#x017F;ein Spiel mit mir zu treiben, indem er mir<lb/>
jedesmal die Ver&#x017F;e zuflu&#x0364;&#x017F;terte:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Und ha&#x0364;tt' ich nicht geru&#x0364;ttelt und ge&#x017F;chu&#x0364;ttelt,</l><lb/>
            <l>Wie wa&#x0364;re die&#x017F;e Welt &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n?</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0241] fertig, die Helena verbunden, und demnach das Schwie¬ rigſte gethan. Das Ende iſt, wie Sie mir ſagten, ſchon da, und ſo wird, wie ich hoffe, der vierte Act ſich Ih¬ nen bald uͤberwunden ergeben, und etwas Großes waͤre zu Stande gebracht, woran kuͤnftige Jahrhunderte ſich erbauen und uͤben moͤchten. Ich freue mich dazu ganz außerordentlich, und werde jede Nachricht, die mir das Vorruͤcken der poetiſchen Maͤchte vermeldet, mit Jubel empfangen. Ich habe auf meiner Reiſe haͤufige Gelegenheit ge¬ habt, des Fauſt zu gedenken, und daraus einige claſſi¬ ſche Stellen anzuwenden. Wenn ich in Italien die ſchoͤ¬ nen Menſchen und das Gedeihen der friſchen Kinder ſah, waren mir die Verſe zugegen: Hier iſt das Wohlbehagen erblich! Die Wange heitert wie der Mund; Ein jeder iſt an ſeinem Platz unſterblich, Sie ſind zufrieden und geſund. Und ſo entwickelt ſich am reinen Tage Zu Vaterkraft das holde Kind. Wir ſtaunen drob, noch immer bleibt die Frage: Ob's Goͤtter, ob es Menſchen ſind. Dagegen wenn ich, von dem Anblick der ſchoͤnen Natur hingeriſſen, Herz und Augen an Seen, Bergen und Thaͤlern weidete, ſchien irgend ein unſichtbarer kleiner Teufel ſein Spiel mit mir zu treiben, indem er mir jedesmal die Verſe zufluͤſterte: Und haͤtt' ich nicht geruͤttelt und geſchuͤttelt, Wie waͤre dieſe Welt ſo ſchoͤn?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/241
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/241>, abgerufen am 22.11.2024.