wo Einer dem Andern auf dem Halse liegt, sogleich wieder von verschiedenen kleinen Verhältnissen hin und hergezerrt, die mich zerstören, ohne mir und Andern ent¬ schieden zu nutzen.
Zwar enthält sie viel Gutes und Treffliches, das ich seit lange geliebt habe und das ich ewig lieben werde; denke ich aber daran zurück, so ist es mir, als sähe ich vor den Thoren der Stadt einen Engel mit einem feu¬ rigen Schwerdt, um mir den Eingang zu wehren und mich davon hinwegzutreiben.
Ich bin, wie ich mich kenne, ein wunderliches We¬ sen von einem Menschen. An gewissen Dingen hänge ich treu und fest, ich halte an Vorsätzen durch viele Jahre hindurch, und führe sie aus, hartnäckig, durch tausend Umwege und Schwierigkeiten; aber in einzelnen Berührungen des täglichen Lebens ist niemand abhän¬ giger, wankender, bestimmbarer, allerley Eindrücke fähi¬ ger, als ich, welches beydes denn das höchst veränder¬ liche und wiederum feste Geschick meines Lebens bildet. Sehe ich auf meine durchlaufene Bahn zurück, so sind die Verhältnisse und Zustände, durch die ich gegangen, höchst bunt und verschieden; blicke ich aber tiefer, so sehe ich durch alle hindurch einen gewissen einfachen Zug eines höheren Hinaufstrebens hindurchgehen, so daß es mir denn auch gelungen ist, von Stufe zu Stufe mich zu veredeln und zu verbessern.
Aber eben jene große Bestimmbarkeit und Fügsam¬
wo Einer dem Andern auf dem Halſe liegt, ſogleich wieder von verſchiedenen kleinen Verhaͤltniſſen hin und hergezerrt, die mich zerſtoͤren, ohne mir und Andern ent¬ ſchieden zu nutzen.
Zwar enthaͤlt ſie viel Gutes und Treffliches, das ich ſeit lange geliebt habe und das ich ewig lieben werde; denke ich aber daran zuruͤck, ſo iſt es mir, als ſaͤhe ich vor den Thoren der Stadt einen Engel mit einem feu¬ rigen Schwerdt, um mir den Eingang zu wehren und mich davon hinwegzutreiben.
Ich bin, wie ich mich kenne, ein wunderliches We¬ ſen von einem Menſchen. An gewiſſen Dingen haͤnge ich treu und feſt, ich halte an Vorſaͤtzen durch viele Jahre hindurch, und fuͤhre ſie aus, hartnaͤckig, durch tauſend Umwege und Schwierigkeiten; aber in einzelnen Beruͤhrungen des taͤglichen Lebens iſt niemand abhaͤn¬ giger, wankender, beſtimmbarer, allerley Eindruͤcke faͤhi¬ ger, als ich, welches beydes denn das hoͤchſt veraͤnder¬ liche und wiederum feſte Geſchick meines Lebens bildet. Sehe ich auf meine durchlaufene Bahn zuruͤck, ſo ſind die Verhaͤltniſſe und Zuſtaͤnde, durch die ich gegangen, hoͤchſt bunt und verſchieden; blicke ich aber tiefer, ſo ſehe ich durch alle hindurch einen gewiſſen einfachen Zug eines hoͤheren Hinaufſtrebens hindurchgehen, ſo daß es mir denn auch gelungen iſt, von Stufe zu Stufe mich zu veredeln und zu verbeſſern.
Aber eben jene große Beſtimmbarkeit und Fuͤgſam¬
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0236"n="226"/>
wo Einer dem Andern auf dem Halſe liegt, ſogleich<lb/>
wieder von verſchiedenen kleinen Verhaͤltniſſen hin und<lb/>
hergezerrt, die mich zerſtoͤren, ohne mir und Andern ent¬<lb/>ſchieden zu nutzen.</p><lb/><p>Zwar enthaͤlt ſie viel Gutes und Treffliches, das ich<lb/>ſeit lange geliebt habe und das ich ewig lieben werde;<lb/>
denke ich aber daran zuruͤck, ſo iſt es mir, als ſaͤhe ich<lb/>
vor den Thoren der Stadt einen Engel mit einem feu¬<lb/>
rigen Schwerdt, um mir den Eingang zu wehren und<lb/>
mich davon hinwegzutreiben.</p><lb/><p>Ich bin, wie ich mich kenne, ein wunderliches We¬<lb/>ſen von einem Menſchen. An gewiſſen Dingen haͤnge<lb/>
ich treu und feſt, ich halte an Vorſaͤtzen durch viele<lb/>
Jahre hindurch, und fuͤhre ſie aus, hartnaͤckig, durch<lb/>
tauſend Umwege und Schwierigkeiten; aber in einzelnen<lb/>
Beruͤhrungen des taͤglichen Lebens iſt niemand abhaͤn¬<lb/>
giger, wankender, beſtimmbarer, allerley Eindruͤcke faͤhi¬<lb/>
ger, als ich, welches beydes denn das hoͤchſt veraͤnder¬<lb/>
liche und wiederum feſte Geſchick meines Lebens bildet.<lb/>
Sehe ich auf meine durchlaufene Bahn zuruͤck, ſo ſind<lb/>
die Verhaͤltniſſe und Zuſtaͤnde, durch die ich gegangen,<lb/>
hoͤchſt bunt und verſchieden; blicke ich aber tiefer, ſo<lb/>ſehe ich durch alle hindurch einen gewiſſen einfachen<lb/>
Zug eines hoͤheren Hinaufſtrebens hindurchgehen, ſo daß<lb/>
es mir denn auch gelungen iſt, von Stufe zu Stufe<lb/>
mich zu veredeln und zu verbeſſern.</p><lb/><p>Aber eben jene große Beſtimmbarkeit und Fuͤgſam¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[226/0236]
wo Einer dem Andern auf dem Halſe liegt, ſogleich
wieder von verſchiedenen kleinen Verhaͤltniſſen hin und
hergezerrt, die mich zerſtoͤren, ohne mir und Andern ent¬
ſchieden zu nutzen.
Zwar enthaͤlt ſie viel Gutes und Treffliches, das ich
ſeit lange geliebt habe und das ich ewig lieben werde;
denke ich aber daran zuruͤck, ſo iſt es mir, als ſaͤhe ich
vor den Thoren der Stadt einen Engel mit einem feu¬
rigen Schwerdt, um mir den Eingang zu wehren und
mich davon hinwegzutreiben.
Ich bin, wie ich mich kenne, ein wunderliches We¬
ſen von einem Menſchen. An gewiſſen Dingen haͤnge
ich treu und feſt, ich halte an Vorſaͤtzen durch viele
Jahre hindurch, und fuͤhre ſie aus, hartnaͤckig, durch
tauſend Umwege und Schwierigkeiten; aber in einzelnen
Beruͤhrungen des taͤglichen Lebens iſt niemand abhaͤn¬
giger, wankender, beſtimmbarer, allerley Eindruͤcke faͤhi¬
ger, als ich, welches beydes denn das hoͤchſt veraͤnder¬
liche und wiederum feſte Geſchick meines Lebens bildet.
Sehe ich auf meine durchlaufene Bahn zuruͤck, ſo ſind
die Verhaͤltniſſe und Zuſtaͤnde, durch die ich gegangen,
hoͤchſt bunt und verſchieden; blicke ich aber tiefer, ſo
ſehe ich durch alle hindurch einen gewiſſen einfachen
Zug eines hoͤheren Hinaufſtrebens hindurchgehen, ſo daß
es mir denn auch gelungen iſt, von Stufe zu Stufe
mich zu veredeln und zu verbeſſern.
Aber eben jene große Beſtimmbarkeit und Fuͤgſam¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/236>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.