Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach einer dreytägigen Reise, in großer Hitze und
Staub, über Novi, Alexandria und Asti, kam ich nach
Turin, wo es nöthig war, mich einige Tage zu erholen
und umzusehen, und eine weitere passende Gelegenheit
über die Alpen zu erwarten. Diese fand sich Montag
den 2. August über den Mont Cenis nach Chambery,
wo wir Abends den 6. ankamen. Am 7., Nachmittags,
fand ich weitere Gelegenheit nach Aix, und am 8. spät,
in Dunkelheit und Regen erreichte ich Genf, wo ich im
Gasthof zur Krone ein Unterkommen fand.

Hier war alles voll von Engländern, die, von Paris
geflohen, als Augenzeugen der dortigen außerordentlichen
Auftritte viel zu erzählen hatten. Sie können denken,
welchen Eindruck das erste Erfahren jener welterschüttern¬
den Begebenheiten auf mich machte, mit welchem In¬
teresse ich die Zeitungen las, die im Piemontesischen
unterdrückt waren, und wie ich den Erzählungen der
täglich neu Ankommenden, so wie dem Hin- und Wie¬
derreden und Streiten politisirender Menschen an Table
d'hote
zuhörte. Alles war in der höchsten Aufregung,
und man versuchte die Folgen zu übersehen, die aus so
großen Gewaltschritten für das übrige Europa hervor¬
gehen könnten. Ich besuchte Freundin Sylvestre,
Sorets Eltern und Bruder, und da jeder in so auf¬
geregten Tagen eine Meinung haben mußte, so bildete
ich mir die, daß die französischen Minister vorzüglich
deßwegen strafbar seyen, weil sie den Monarchen zu

Nach einer dreytaͤgigen Reiſe, in großer Hitze und
Staub, uͤber Novi, Alexandria und Aſti, kam ich nach
Turin, wo es noͤthig war, mich einige Tage zu erholen
und umzuſehen, und eine weitere paſſende Gelegenheit
uͤber die Alpen zu erwarten. Dieſe fand ſich Montag
den 2. Auguſt uͤber den Mont Cenis nach Chambery,
wo wir Abends den 6. ankamen. Am 7., Nachmittags,
fand ich weitere Gelegenheit nach Aix, und am 8. ſpaͤt,
in Dunkelheit und Regen erreichte ich Genf, wo ich im
Gaſthof zur Krone ein Unterkommen fand.

Hier war alles voll von Englaͤndern, die, von Paris
geflohen, als Augenzeugen der dortigen außerordentlichen
Auftritte viel zu erzaͤhlen hatten. Sie koͤnnen denken,
welchen Eindruck das erſte Erfahren jener welterſchuͤttern¬
den Begebenheiten auf mich machte, mit welchem In¬
tereſſe ich die Zeitungen las, die im Piemonteſiſchen
unterdruͤckt waren, und wie ich den Erzaͤhlungen der
taͤglich neu Ankommenden, ſo wie dem Hin- und Wie¬
derreden und Streiten politiſirender Menſchen an Table
d'hôte
zuhoͤrte. Alles war in der hoͤchſten Aufregung,
und man verſuchte die Folgen zu uͤberſehen, die aus ſo
großen Gewaltſchritten fuͤr das uͤbrige Europa hervor¬
gehen koͤnnten. Ich beſuchte Freundin Sylveſtre,
Sorets Eltern und Bruder, und da jeder in ſo auf¬
geregten Tagen eine Meinung haben mußte, ſo bildete
ich mir die, daß die franzoͤſiſchen Miniſter vorzuͤglich
deßwegen ſtrafbar ſeyen, weil ſie den Monarchen zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0233" n="223"/>
          <p>Nach einer dreyta&#x0364;gigen Rei&#x017F;e, in großer Hitze und<lb/>
Staub, u&#x0364;ber Novi, Alexandria und A&#x017F;ti, kam ich nach<lb/>
Turin, wo es no&#x0364;thig war, mich einige Tage zu erholen<lb/>
und umzu&#x017F;ehen, und eine weitere pa&#x017F;&#x017F;ende Gelegenheit<lb/>
u&#x0364;ber die Alpen zu erwarten. Die&#x017F;e fand &#x017F;ich Montag<lb/>
den 2. Augu&#x017F;t u&#x0364;ber den Mont Cenis nach Chambery,<lb/>
wo wir Abends den 6. ankamen. Am 7., Nachmittags,<lb/>
fand ich weitere Gelegenheit nach Aix, und am 8. &#x017F;pa&#x0364;t,<lb/>
in Dunkelheit und Regen erreichte ich Genf, wo ich im<lb/>
Ga&#x017F;thof zur Krone ein Unterkommen fand.</p><lb/>
          <p>Hier war alles voll von Engla&#x0364;ndern, die, von Paris<lb/>
geflohen, als Augenzeugen der dortigen außerordentlichen<lb/>
Auftritte viel zu erza&#x0364;hlen hatten. Sie ko&#x0364;nnen denken,<lb/>
welchen Eindruck das er&#x017F;te Erfahren jener welter&#x017F;chu&#x0364;ttern¬<lb/>
den Begebenheiten auf mich machte, mit welchem In¬<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e ich die Zeitungen las, die im Piemonte&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
unterdru&#x0364;ckt waren, und wie ich den Erza&#x0364;hlungen der<lb/>
ta&#x0364;glich neu Ankommenden, &#x017F;o wie dem Hin- und Wie¬<lb/>
derreden und Streiten politi&#x017F;irender Men&#x017F;chen an <hi rendition="#aq">Table<lb/>
d'hôte</hi> zuho&#x0364;rte. Alles war in der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Aufregung,<lb/>
und man ver&#x017F;uchte die Folgen zu u&#x0364;ber&#x017F;ehen, die aus &#x017F;o<lb/>
großen Gewalt&#x017F;chritten fu&#x0364;r das u&#x0364;brige Europa hervor¬<lb/>
gehen ko&#x0364;nnten. Ich be&#x017F;uchte Freundin <hi rendition="#g">Sylve&#x017F;tre</hi>,<lb/><hi rendition="#g">Sorets</hi> Eltern und Bruder, und da jeder in &#x017F;o auf¬<lb/>
geregten Tagen eine Meinung haben mußte, &#x017F;o bildete<lb/>
ich mir die, daß die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Mini&#x017F;ter vorzu&#x0364;glich<lb/>
deßwegen &#x017F;trafbar &#x017F;eyen, weil &#x017F;ie den Monarchen zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0233] Nach einer dreytaͤgigen Reiſe, in großer Hitze und Staub, uͤber Novi, Alexandria und Aſti, kam ich nach Turin, wo es noͤthig war, mich einige Tage zu erholen und umzuſehen, und eine weitere paſſende Gelegenheit uͤber die Alpen zu erwarten. Dieſe fand ſich Montag den 2. Auguſt uͤber den Mont Cenis nach Chambery, wo wir Abends den 6. ankamen. Am 7., Nachmittags, fand ich weitere Gelegenheit nach Aix, und am 8. ſpaͤt, in Dunkelheit und Regen erreichte ich Genf, wo ich im Gaſthof zur Krone ein Unterkommen fand. Hier war alles voll von Englaͤndern, die, von Paris geflohen, als Augenzeugen der dortigen außerordentlichen Auftritte viel zu erzaͤhlen hatten. Sie koͤnnen denken, welchen Eindruck das erſte Erfahren jener welterſchuͤttern¬ den Begebenheiten auf mich machte, mit welchem In¬ tereſſe ich die Zeitungen las, die im Piemonteſiſchen unterdruͤckt waren, und wie ich den Erzaͤhlungen der taͤglich neu Ankommenden, ſo wie dem Hin- und Wie¬ derreden und Streiten politiſirender Menſchen an Table d'hôte zuhoͤrte. Alles war in der hoͤchſten Aufregung, und man verſuchte die Folgen zu uͤberſehen, die aus ſo großen Gewaltſchritten fuͤr das uͤbrige Europa hervor¬ gehen koͤnnten. Ich beſuchte Freundin Sylveſtre, Sorets Eltern und Bruder, und da jeder in ſo auf¬ geregten Tagen eine Meinung haben mußte, ſo bildete ich mir die, daß die franzoͤſiſchen Miniſter vorzuͤglich deßwegen ſtrafbar ſeyen, weil ſie den Monarchen zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/233
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/233>, abgerufen am 04.05.2024.