sie, in einem besonderen Paket versiegelt, unserm Freunde Soret zur Aufbewahrung vertraut, mit dem Ersuchen, im Fall mir auf der Reise ein Unheil zustieße und ich nicht zurückkäme, sie in Ihre Hände zu geben.
Nach dem Besuche in Venedig, bey unserm zweyten Aufenthalt in Mailand, überfiel mich ein Fieber, so daß ich einige Nächte sehr krank war und eine ganze Woche, ohne Neigung zu der geringsten Nahrung, ganz schmählich danieder lag. In diesen einsamen verlassenen Stunden gedachte ich vorzüglich jenes Manuscripts, und es beunruhigte mich, daß es sich nicht in einem so kla¬ ren abgeschlossenen Zustand befinde, um davon entschie¬ den Gebrauch zu machen. Es trat mir vor Augen, daß es häufig nur mit der Bleyfeder geschrieben, daß einige Stellen undeutlich und nicht gehörig ausgedrückt, daß Manches sich nur in Andeutungen befinde, und, mit einem Wort, eine gehörige Redaction und die letzte Hand fehle.
In solchen Zuständen und bey solchem Gefühl er¬ wachte in mir ein dringendes Verlangen nach jenen Pa¬ pieren. Die Freude, Neapel und Rom zu sehen, ver¬ schwand, und eine Sehnsucht ergriff mich, nach Deutsch¬ land zurückzukehren, um, von allem zurückgezogen, ein¬ sam, jenes Manuscript zu vollenden.
Ohne von dem was tiefer in mir vorging zu reden, sprach ich mit Ihrem Herrn Sohn über meine körper¬ lichen Zustände; er empfand das Gefährliche, mich in
ſie, in einem beſonderen Paket verſiegelt, unſerm Freunde Soret zur Aufbewahrung vertraut, mit dem Erſuchen, im Fall mir auf der Reiſe ein Unheil zuſtieße und ich nicht zuruͤckkaͤme, ſie in Ihre Haͤnde zu geben.
Nach dem Beſuche in Venedig, bey unſerm zweyten Aufenthalt in Mailand, uͤberfiel mich ein Fieber, ſo daß ich einige Naͤchte ſehr krank war und eine ganze Woche, ohne Neigung zu der geringſten Nahrung, ganz ſchmaͤhlich danieder lag. In dieſen einſamen verlaſſenen Stunden gedachte ich vorzuͤglich jenes Manuſcripts, und es beunruhigte mich, daß es ſich nicht in einem ſo kla¬ ren abgeſchloſſenen Zuſtand befinde, um davon entſchie¬ den Gebrauch zu machen. Es trat mir vor Augen, daß es haͤufig nur mit der Bleyfeder geſchrieben, daß einige Stellen undeutlich und nicht gehoͤrig ausgedruͤckt, daß Manches ſich nur in Andeutungen befinde, und, mit einem Wort, eine gehoͤrige Redaction und die letzte Hand fehle.
In ſolchen Zuſtaͤnden und bey ſolchem Gefuͤhl er¬ wachte in mir ein dringendes Verlangen nach jenen Pa¬ pieren. Die Freude, Neapel und Rom zu ſehen, ver¬ ſchwand, und eine Sehnſucht ergriff mich, nach Deutſch¬ land zuruͤckzukehren, um, von allem zuruͤckgezogen, ein¬ ſam, jenes Manuſcript zu vollenden.
Ohne von dem was tiefer in mir vorging zu reden, ſprach ich mit Ihrem Herrn Sohn uͤber meine koͤrper¬ lichen Zuſtaͤnde; er empfand das Gefaͤhrliche, mich in
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ſie, in einem beſonderen Paket verſiegelt, unſerm Freunde
Soret zur Aufbewahrung vertraut, mit dem Erſuchen,
im Fall mir auf der Reiſe ein Unheil zuſtieße und ich
nicht zuruͤckkaͤme, ſie in Ihre Haͤnde zu geben.
Nach dem Beſuche in Venedig, bey unſerm zweyten
Aufenthalt in Mailand, uͤberfiel mich ein Fieber, ſo
daß ich einige Naͤchte ſehr krank war und eine ganze
Woche, ohne Neigung zu der geringſten Nahrung, ganz
ſchmaͤhlich danieder lag. In dieſen einſamen verlaſſenen
Stunden gedachte ich vorzuͤglich jenes Manuſcripts, und
es beunruhigte mich, daß es ſich nicht in einem ſo kla¬
ren abgeſchloſſenen Zuſtand befinde, um davon entſchie¬
den Gebrauch zu machen. Es trat mir vor Augen,
daß es haͤufig nur mit der Bleyfeder geſchrieben, daß
einige Stellen undeutlich und nicht gehoͤrig ausgedruͤckt,
daß Manches ſich nur in Andeutungen befinde, und,
mit einem Wort, eine gehoͤrige Redaction und die letzte
Hand fehle.
In ſolchen Zuſtaͤnden und bey ſolchem Gefuͤhl er¬
wachte in mir ein dringendes Verlangen nach jenen Pa¬
pieren. Die Freude, Neapel und Rom zu ſehen, ver¬
ſchwand, und eine Sehnſucht ergriff mich, nach Deutſch¬
land zuruͤckzukehren, um, von allem zuruͤckgezogen, ein¬
ſam, jenes Manuſcript zu vollenden.
Ohne von dem was tiefer in mir vorging zu reden,
ſprach ich mit Ihrem Herrn Sohn uͤber meine koͤrper¬
lichen Zuſtaͤnde; er empfand das Gefaͤhrliche, mich in
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/231>, abgerufen am 21.11.2024.
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