Die Schminke war nur ein Hauch von Röthe, so wie man es in der Natur gerne sieht, und so, daß man nicht an geschminkte Wangen erinnert wird.
Bey der starken Besetzung des Orchesters war es mir merkwürdig, daß es nie die Stimmen der Sänger übertönte, sondern daß diese immer die herrschenden blieben. Ich sprach darüber an Table d'hote, und hörte einen verständigen jungen Mann Folgendes er¬ wiedern.
"Die deutschen Orchester, sagte er, sind egoistisch und wollen als Orchester sich hervorthun und etwas seyn. Ein italienisches Orchester dagegen ist discret. Es weiß recht gut, daß in der Oper der Gesang der menschlichen Stimmen die Hauptsache ist, und daß die Begleitung des Orchesters diesen nur tragen soll. Zudem hält der Italiener dafür, daß der Ton eines Instruments nur schön sey, wenn man ihn nicht forcirt. Mögen daher in einem italienischen Orchester noch so viele Geigen, Clarinetten, Trompeten und Bässe gespielt und geblasen werden, der Total-Eindruck des Ganzen wird immer sanft und angenehm bleiben, während ein deutsches Or¬ chester, bey dreyfach schwächerer Besetzung, sehr leicht laut und rauschend wird."
Ich konnte so überzeugenden Worten nicht wider¬ sprechen, und freute mich, mein Problem so klar gelöst zu sehen.
Aber sollten nicht auch, versetzte ich, die neuesten
Die Schminke war nur ein Hauch von Roͤthe, ſo wie man es in der Natur gerne ſieht, und ſo, daß man nicht an geſchminkte Wangen erinnert wird.
Bey der ſtarken Beſetzung des Orcheſters war es mir merkwuͤrdig, daß es nie die Stimmen der Saͤnger uͤbertoͤnte, ſondern daß dieſe immer die herrſchenden blieben. Ich ſprach daruͤber an Table d'hôte, und hoͤrte einen verſtaͤndigen jungen Mann Folgendes er¬ wiedern.
„Die deutſchen Orcheſter, ſagte er, ſind egoiſtiſch und wollen als Orcheſter ſich hervorthun und etwas ſeyn. Ein italieniſches Orcheſter dagegen iſt discret. Es weiß recht gut, daß in der Oper der Geſang der menſchlichen Stimmen die Hauptſache iſt, und daß die Begleitung des Orcheſters dieſen nur tragen ſoll. Zudem haͤlt der Italiener dafuͤr, daß der Ton eines Inſtruments nur ſchoͤn ſey, wenn man ihn nicht forcirt. Moͤgen daher in einem italieniſchen Orcheſter noch ſo viele Geigen, Clarinetten, Trompeten und Baͤſſe geſpielt und geblaſen werden, der Total-Eindruck des Ganzen wird immer ſanft und angenehm bleiben, waͤhrend ein deutſches Or¬ cheſter, bey dreyfach ſchwaͤcherer Beſetzung, ſehr leicht laut und rauſchend wird.“
Ich konnte ſo uͤberzeugenden Worten nicht wider¬ ſprechen, und freute mich, mein Problem ſo klar geloͤſt zu ſehen.
Aber ſollten nicht auch, verſetzte ich, die neueſten
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0224"n="214"/><p>Die Schminke war nur ein Hauch von Roͤthe, ſo<lb/>
wie man es in der Natur gerne ſieht, und ſo, daß<lb/>
man nicht an geſchminkte Wangen erinnert wird.</p><lb/><p>Bey der ſtarken Beſetzung des Orcheſters war es<lb/>
mir merkwuͤrdig, daß es nie die Stimmen der Saͤnger<lb/>
uͤbertoͤnte, ſondern daß dieſe immer die herrſchenden<lb/>
blieben. Ich ſprach daruͤber an <hirendition="#aq">Table d'hôte</hi>, und<lb/>
hoͤrte einen verſtaͤndigen jungen Mann Folgendes er¬<lb/>
wiedern.</p><lb/><p>„Die deutſchen Orcheſter, ſagte er, ſind egoiſtiſch und<lb/>
wollen als Orcheſter ſich hervorthun und etwas ſeyn. Ein<lb/>
italieniſches Orcheſter dagegen iſt discret. Es weiß recht<lb/>
gut, daß in der Oper der Geſang der menſchlichen<lb/>
Stimmen die Hauptſache iſt, und daß die Begleitung<lb/>
des Orcheſters dieſen nur tragen ſoll. Zudem haͤlt der<lb/>
Italiener dafuͤr, daß der Ton eines Inſtruments nur<lb/>ſchoͤn ſey, wenn man ihn nicht forcirt. Moͤgen daher<lb/>
in einem italieniſchen Orcheſter noch ſo viele Geigen,<lb/>
Clarinetten, Trompeten und Baͤſſe geſpielt und geblaſen<lb/>
werden, der Total-Eindruck des Ganzen wird immer<lb/>ſanft und angenehm bleiben, waͤhrend ein deutſches Or¬<lb/>
cheſter, bey dreyfach ſchwaͤcherer Beſetzung, ſehr leicht<lb/>
laut und rauſchend wird.“</p><lb/><p>Ich konnte ſo uͤberzeugenden Worten nicht wider¬<lb/>ſprechen, und freute mich, mein Problem ſo klar geloͤſt<lb/>
zu ſehen.</p><lb/><p>Aber ſollten nicht auch, verſetzte ich, die neueſten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[214/0224]
Die Schminke war nur ein Hauch von Roͤthe, ſo
wie man es in der Natur gerne ſieht, und ſo, daß
man nicht an geſchminkte Wangen erinnert wird.
Bey der ſtarken Beſetzung des Orcheſters war es
mir merkwuͤrdig, daß es nie die Stimmen der Saͤnger
uͤbertoͤnte, ſondern daß dieſe immer die herrſchenden
blieben. Ich ſprach daruͤber an Table d'hôte, und
hoͤrte einen verſtaͤndigen jungen Mann Folgendes er¬
wiedern.
„Die deutſchen Orcheſter, ſagte er, ſind egoiſtiſch und
wollen als Orcheſter ſich hervorthun und etwas ſeyn. Ein
italieniſches Orcheſter dagegen iſt discret. Es weiß recht
gut, daß in der Oper der Geſang der menſchlichen
Stimmen die Hauptſache iſt, und daß die Begleitung
des Orcheſters dieſen nur tragen ſoll. Zudem haͤlt der
Italiener dafuͤr, daß der Ton eines Inſtruments nur
ſchoͤn ſey, wenn man ihn nicht forcirt. Moͤgen daher
in einem italieniſchen Orcheſter noch ſo viele Geigen,
Clarinetten, Trompeten und Baͤſſe geſpielt und geblaſen
werden, der Total-Eindruck des Ganzen wird immer
ſanft und angenehm bleiben, waͤhrend ein deutſches Or¬
cheſter, bey dreyfach ſchwaͤcherer Beſetzung, ſehr leicht
laut und rauſchend wird.“
Ich konnte ſo uͤberzeugenden Worten nicht wider¬
ſprechen, und freute mich, mein Problem ſo klar geloͤſt
zu ſehen.
Aber ſollten nicht auch, verſetzte ich, die neueſten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/224>, abgerufen am 05.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.