hunderte von Meilen in einer Richtung darin fortzu¬ streben vermöchte, ohne auf etwas Körperliches zu sto¬ ßen, so wäre dieses der Aufenthalt jener unbekannten Göttinnen, zu denen Faust hinabgeht. Sie leben gleich¬ sam außer allem Ort, denn es ist nichts Festes das sie in einiger Nähe umgiebt; auch leben sie außer aller Zeit, denn es leuchtet ihnen kein Gestirn, welches auf¬ oder unterginge und den Wechsel von Tag und Nacht andeutete.
So, in ewiger Dämmerung und Einsamkeit behar¬ rend, sind die Mütter schaffende Wesen, sie sind das schaffende und erhaltende Prinzip, von dem alles ausgeht, was auf der Oberfläche der Erde Gestalt und Leben hat. Was zu athmen aufhört, geht als geistige Natur zu ihnen zurück, und sie bewahren es, bis es wieder Gelegenheit findet, in ein neues Daseyn zu treten. Alle Seelen und Formen von dem was einst war und künftig seyn wird, schweift in dem endlosen Raum ihres Aufenthaltes wolkenartig hin und her; es umgiebt die Mütter, und der Magier muß also in ihr Reich gehen, wenn er durch die Macht seiner Kunst über die Form eines Wesens Gewalt haben, und ein früheres Geschöpf zu einem Scheinleben hervorrufen will.
Die ewige Metamorphose des irdischen Daseyns, des Entstehens und Wachsens, des Zerstörens und Wieder¬ bildens, ist also der Mütter nie aufhörende Beschäfti¬ gung. Und wie nun bey allem, was auf der Erde
hunderte von Meilen in einer Richtung darin fortzu¬ ſtreben vermoͤchte, ohne auf etwas Koͤrperliches zu ſto¬ ßen, ſo waͤre dieſes der Aufenthalt jener unbekannten Goͤttinnen, zu denen Fauſt hinabgeht. Sie leben gleich¬ ſam außer allem Ort, denn es iſt nichts Feſtes das ſie in einiger Naͤhe umgiebt; auch leben ſie außer aller Zeit, denn es leuchtet ihnen kein Geſtirn, welches auf¬ oder unterginge und den Wechſel von Tag und Nacht andeutete.
So, in ewiger Daͤmmerung und Einſamkeit behar¬ rend, ſind die Muͤtter ſchaffende Weſen, ſie ſind das ſchaffende und erhaltende Prinzip, von dem alles ausgeht, was auf der Oberflaͤche der Erde Geſtalt und Leben hat. Was zu athmen aufhoͤrt, geht als geiſtige Natur zu ihnen zuruͤck, und ſie bewahren es, bis es wieder Gelegenheit findet, in ein neues Daſeyn zu treten. Alle Seelen und Formen von dem was einſt war und kuͤnftig ſeyn wird, ſchweift in dem endloſen Raum ihres Aufenthaltes wolkenartig hin und her; es umgiebt die Muͤtter, und der Magier muß alſo in ihr Reich gehen, wenn er durch die Macht ſeiner Kunſt uͤber die Form eines Weſens Gewalt haben, und ein fruͤheres Geſchoͤpf zu einem Scheinleben hervorrufen will.
Die ewige Metamorphoſe des irdiſchen Daſeyns, des Entſtehens und Wachſens, des Zerſtoͤrens und Wieder¬ bildens, iſt alſo der Muͤtter nie aufhoͤrende Beſchaͤfti¬ gung. Und wie nun bey allem, was auf der Erde
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hunderte von Meilen in einer Richtung darin fortzu¬
ſtreben vermoͤchte, ohne auf etwas Koͤrperliches zu ſto¬
ßen, ſo waͤre dieſes der Aufenthalt jener unbekannten
Goͤttinnen, zu denen Fauſt hinabgeht. Sie leben gleich¬
ſam außer allem Ort, denn es iſt nichts Feſtes das ſie
in einiger Naͤhe umgiebt; auch leben ſie außer aller
Zeit, denn es leuchtet ihnen kein Geſtirn, welches auf¬
oder unterginge und den Wechſel von Tag und Nacht
andeutete.
So, in ewiger Daͤmmerung und Einſamkeit behar¬
rend, ſind die Muͤtter ſchaffende Weſen, ſie ſind das
ſchaffende und erhaltende Prinzip, von dem
alles ausgeht, was auf der Oberflaͤche der Erde Geſtalt
und Leben hat. Was zu athmen aufhoͤrt, geht als
geiſtige Natur zu ihnen zuruͤck, und ſie bewahren es,
bis es wieder Gelegenheit findet, in ein neues Daſeyn
zu treten. Alle Seelen und Formen von dem was einſt
war und kuͤnftig ſeyn wird, ſchweift in dem endloſen
Raum ihres Aufenthaltes wolkenartig hin und her; es
umgiebt die Muͤtter, und der Magier muß alſo in ihr
Reich gehen, wenn er durch die Macht ſeiner Kunſt uͤber
die Form eines Weſens Gewalt haben, und ein fruͤheres
Geſchoͤpf zu einem Scheinleben hervorrufen will.
Die ewige Metamorphoſe des irdiſchen Daſeyns, des
Entſtehens und Wachſens, des Zerſtoͤrens und Wieder¬
bildens, iſt alſo der Muͤtter nie aufhoͤrende Beſchaͤfti¬
gung. Und wie nun bey allem, was auf der Erde
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/182>, abgerufen am 23.11.2024.
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