Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

uns mittheilte. Denn es ist mit der Schauspielkunst
wie mit allen übrigen Künsten. Was der Künstler thut
oder gethan hat, setzt uns in die Stimmung, in der er
selber war, da er es machte. Eine freye Stimmung
des Künstlers macht uns frey, dagegen eine beklommene
macht uns bänglich. Diese Freyheit im Künstler ist ge¬
wöhnlich dort, wo er ganz seiner Sache gewachsen ist,
weßhalb es uns denn bey niederländischen Gemälden so
wohl wird, indem jene Künstler das nächste Leben dar¬
stellten, wovon sie vollkommen Herr waren. Sollen wir
nun im Schauspieler diese Freyheit des Geistes empfin¬
den, so muß er durch Studium, Phantasie und Na¬
turell vollkommen Herr seiner Rolle seyn, alle körper¬
lichen Mittel müssen ihm zu Gebote stehen, und eine
gewisse jugendliche Energie muß ihn unterstützen. Das
Studium ist indessen nicht genügend ohne Einbildungs¬
kraft, und Studium und Einbildungskraft nicht hinrei¬
chend ohne Naturell. Die Frauen thun das Meiste
durch Einbildungskraft und Temperament, wodurch denn
die Wolff so vortrefflich war."

Wir unterhielten uns ferner über diesen Gegenstand,
wobey die vorzüglichsten Schauspieler der Weimarischen
Bühne zur Sprache kamen, und mancher einzelnen Rolle
mit Anerkennung gedacht wurde.

Mir trat indeß der Faust wieder vor die Seele,
und ich gedachte des Homunculus, und wie man diese

uns mittheilte. Denn es iſt mit der Schauſpielkunſt
wie mit allen uͤbrigen Kuͤnſten. Was der Kuͤnſtler thut
oder gethan hat, ſetzt uns in die Stimmung, in der er
ſelber war, da er es machte. Eine freye Stimmung
des Kuͤnſtlers macht uns frey, dagegen eine beklommene
macht uns baͤnglich. Dieſe Freyheit im Kuͤnſtler iſt ge¬
woͤhnlich dort, wo er ganz ſeiner Sache gewachſen iſt,
weßhalb es uns denn bey niederlaͤndiſchen Gemaͤlden ſo
wohl wird, indem jene Kuͤnſtler das naͤchſte Leben dar¬
ſtellten, wovon ſie vollkommen Herr waren. Sollen wir
nun im Schauſpieler dieſe Freyheit des Geiſtes empfin¬
den, ſo muß er durch Studium, Phantaſie und Na¬
turell vollkommen Herr ſeiner Rolle ſeyn, alle koͤrper¬
lichen Mittel muͤſſen ihm zu Gebote ſtehen, und eine
gewiſſe jugendliche Energie muß ihn unterſtuͤtzen. Das
Studium iſt indeſſen nicht genuͤgend ohne Einbildungs¬
kraft, und Studium und Einbildungskraft nicht hinrei¬
chend ohne Naturell. Die Frauen thun das Meiſte
durch Einbildungskraft und Temperament, wodurch denn
die Wolff ſo vortrefflich war.“

Wir unterhielten uns ferner uͤber dieſen Gegenſtand,
wobey die vorzuͤglichſten Schauſpieler der Weimariſchen
Buͤhne zur Sprache kamen, und mancher einzelnen Rolle
mit Anerkennung gedacht wurde.

Mir trat indeß der Fauſt wieder vor die Seele,
und ich gedachte des Homunculus, und wie man dieſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0169" n="159"/>
uns mittheilte. Denn es i&#x017F;t mit der Schau&#x017F;pielkun&#x017F;t<lb/>
wie mit allen u&#x0364;brigen Ku&#x0364;n&#x017F;ten. Was der Ku&#x0364;n&#x017F;tler thut<lb/>
oder gethan hat, &#x017F;etzt uns in die Stimmung, in der er<lb/>
&#x017F;elber war, da er es machte. Eine freye Stimmung<lb/>
des Ku&#x0364;n&#x017F;tlers macht uns frey, dagegen eine beklommene<lb/>
macht uns ba&#x0364;nglich. Die&#x017F;e Freyheit im Ku&#x0364;n&#x017F;tler i&#x017F;t ge¬<lb/>
wo&#x0364;hnlich dort, wo er ganz &#x017F;einer Sache gewach&#x017F;en i&#x017F;t,<lb/>
weßhalb es uns denn bey niederla&#x0364;ndi&#x017F;chen Gema&#x0364;lden &#x017F;o<lb/>
wohl wird, indem jene Ku&#x0364;n&#x017F;tler das na&#x0364;ch&#x017F;te Leben dar¬<lb/>
&#x017F;tellten, wovon &#x017F;ie vollkommen Herr waren. Sollen wir<lb/>
nun im Schau&#x017F;pieler die&#x017F;e Freyheit des Gei&#x017F;tes empfin¬<lb/>
den, &#x017F;o muß er durch Studium, Phanta&#x017F;ie und Na¬<lb/>
turell vollkommen Herr &#x017F;einer Rolle &#x017F;eyn, alle ko&#x0364;rper¬<lb/>
lichen Mittel mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ihm zu Gebote &#x017F;tehen, und eine<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e jugendliche Energie muß ihn unter&#x017F;tu&#x0364;tzen. Das<lb/>
Studium i&#x017F;t inde&#x017F;&#x017F;en nicht genu&#x0364;gend ohne Einbildungs¬<lb/>
kraft, und Studium und Einbildungskraft nicht hinrei¬<lb/>
chend ohne Naturell. Die Frauen thun das Mei&#x017F;te<lb/>
durch Einbildungskraft und Temperament, wodurch denn<lb/>
die <hi rendition="#g">Wolff</hi> &#x017F;o vortrefflich war.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir unterhielten uns ferner u&#x0364;ber die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand,<lb/>
wobey die vorzu&#x0364;glich&#x017F;ten Schau&#x017F;pieler der Weimari&#x017F;chen<lb/>
Bu&#x0364;hne zur Sprache kamen, und mancher einzelnen Rolle<lb/>
mit Anerkennung gedacht wurde.</p><lb/>
          <p>Mir trat indeß der <hi rendition="#g">Fau&#x017F;t</hi> wieder vor die Seele,<lb/>
und ich gedachte des Homunculus, und wie man die&#x017F;e<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0169] uns mittheilte. Denn es iſt mit der Schauſpielkunſt wie mit allen uͤbrigen Kuͤnſten. Was der Kuͤnſtler thut oder gethan hat, ſetzt uns in die Stimmung, in der er ſelber war, da er es machte. Eine freye Stimmung des Kuͤnſtlers macht uns frey, dagegen eine beklommene macht uns baͤnglich. Dieſe Freyheit im Kuͤnſtler iſt ge¬ woͤhnlich dort, wo er ganz ſeiner Sache gewachſen iſt, weßhalb es uns denn bey niederlaͤndiſchen Gemaͤlden ſo wohl wird, indem jene Kuͤnſtler das naͤchſte Leben dar¬ ſtellten, wovon ſie vollkommen Herr waren. Sollen wir nun im Schauſpieler dieſe Freyheit des Geiſtes empfin¬ den, ſo muß er durch Studium, Phantaſie und Na¬ turell vollkommen Herr ſeiner Rolle ſeyn, alle koͤrper¬ lichen Mittel muͤſſen ihm zu Gebote ſtehen, und eine gewiſſe jugendliche Energie muß ihn unterſtuͤtzen. Das Studium iſt indeſſen nicht genuͤgend ohne Einbildungs¬ kraft, und Studium und Einbildungskraft nicht hinrei¬ chend ohne Naturell. Die Frauen thun das Meiſte durch Einbildungskraft und Temperament, wodurch denn die Wolff ſo vortrefflich war.“ Wir unterhielten uns ferner uͤber dieſen Gegenſtand, wobey die vorzuͤglichſten Schauſpieler der Weimariſchen Buͤhne zur Sprache kamen, und mancher einzelnen Rolle mit Anerkennung gedacht wurde. Mir trat indeß der Fauſt wieder vor die Seele, und ich gedachte des Homunculus, und wie man dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/169
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/169>, abgerufen am 27.04.2024.