Am Ende hängen wir doch ab Von Creaturen die wir machten.
"Sie haben Recht, sagte Goethe, dieß könnte dem Aufmerkenden fast genug seyn; indeß will ich doch noch auf einige Verse sinnen."
Aber, sagte ich, jenes Schlußwort ist ein großes, das man nicht so leicht ausdenken wird.
"Ich dächte, sagte Goethe, man hätte eine Weile daran zu zehren. Ein Vater, der sechs Söhne hat, ist verloren, er mag sich stellen wie er will. Auch Könige und Minister, die viele Personen zu großen Stellen ge¬ bracht haben, mögen aus ihrer Erfahrung sich etwas dabey denken können."
Fausts Traum von der Leda trat mir wieder vor die Seele, und ich übersah dieses im Geist als einen höchst bedeutenden Zug in der Composition.
Es ist wunderbar, sagte ich, wie in einem solchen Werke die einzelnen Theile auf einander sich beziehen, auf einander wirken und einander ergänzen und heben. Durch diesen Traum von der Leda hier im zweyten Act gewinnt später die Helena erst das eigentliche Funda¬ ment. Dort ist immer von Schwänen und einer Schwanerzeugten die Rede; aber hier erscheint diese Handlung selbst, und wenn man nun mit dem sinnli¬ chen Eindruck solcher Situation später zur Helena kommt, wie wird dann alles deutlicher und vollständiger erschei¬ nen! --
Am Ende haͤngen wir doch ab Von Creaturen die wir machten.
„Sie haben Recht, ſagte Goethe, dieß koͤnnte dem Aufmerkenden faſt genug ſeyn; indeß will ich doch noch auf einige Verſe ſinnen.“
Aber, ſagte ich, jenes Schlußwort iſt ein großes, das man nicht ſo leicht ausdenken wird.
„Ich daͤchte, ſagte Goethe, man haͤtte eine Weile daran zu zehren. Ein Vater, der ſechs Soͤhne hat, iſt verloren, er mag ſich ſtellen wie er will. Auch Koͤnige und Miniſter, die viele Perſonen zu großen Stellen ge¬ bracht haben, moͤgen aus ihrer Erfahrung ſich etwas dabey denken koͤnnen.“
Fauſts Traum von der Leda trat mir wieder vor die Seele, und ich uͤberſah dieſes im Geiſt als einen hoͤchſt bedeutenden Zug in der Compoſition.
Es iſt wunderbar, ſagte ich, wie in einem ſolchen Werke die einzelnen Theile auf einander ſich beziehen, auf einander wirken und einander ergaͤnzen und heben. Durch dieſen Traum von der Leda hier im zweyten Act gewinnt ſpaͤter die Helena erſt das eigentliche Funda¬ ment. Dort iſt immer von Schwaͤnen und einer Schwanerzeugten die Rede; aber hier erſcheint dieſe Handlung ſelbſt, und wenn man nun mit dem ſinnli¬ chen Eindruck ſolcher Situation ſpaͤter zur Helena kommt, wie wird dann alles deutlicher und vollſtaͤndiger erſchei¬ nen! —
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Am Ende haͤngen wir doch ab
Von Creaturen die wir machten.
„Sie haben Recht, ſagte Goethe, dieß koͤnnte dem
Aufmerkenden faſt genug ſeyn; indeß will ich doch noch
auf einige Verſe ſinnen.“
Aber, ſagte ich, jenes Schlußwort iſt ein großes,
das man nicht ſo leicht ausdenken wird.
„Ich daͤchte, ſagte Goethe, man haͤtte eine Weile
daran zu zehren. Ein Vater, der ſechs Soͤhne hat, iſt
verloren, er mag ſich ſtellen wie er will. Auch Koͤnige
und Miniſter, die viele Perſonen zu großen Stellen ge¬
bracht haben, moͤgen aus ihrer Erfahrung ſich etwas
dabey denken koͤnnen.“
Fauſts Traum von der Leda trat mir wieder vor die
Seele, und ich uͤberſah dieſes im Geiſt als einen hoͤchſt
bedeutenden Zug in der Compoſition.
Es iſt wunderbar, ſagte ich, wie in einem ſolchen
Werke die einzelnen Theile auf einander ſich beziehen,
auf einander wirken und einander ergaͤnzen und heben.
Durch dieſen Traum von der Leda hier im zweyten Act
gewinnt ſpaͤter die Helena erſt das eigentliche Funda¬
ment. Dort iſt immer von Schwaͤnen und einer
Schwanerzeugten die Rede; aber hier erſcheint dieſe
Handlung ſelbſt, und wenn man nun mit dem ſinnli¬
chen Eindruck ſolcher Situation ſpaͤter zur Helena kommt,
wie wird dann alles deutlicher und vollſtaͤndiger erſchei¬
nen! —
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/166>, abgerufen am 26.07.2024.
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