Ich fragte Hofrath Meyer wie weit es von der Villa di Malta bis zum Vatican sey. "Von Trinita di Monte, in der Nähe der Villa, sagte Meyer, wo wir Künstler wohnten, ist es bis zum Vatican eine gute halbe Stunde. Wir machten täglich den Weg und oft mehr als einmal." Der Weg über die Brücke, sagte ich, scheint etwas um zu seyn; ich dächte man käme näher, wenn man sich über die Tiber setzen ließe und durch das Feld ginge. "Es ist nicht so, sagte Meyer, aber wir hatten auch diesen Glauben und ließen uns sehr oft übersetzen. Ich erinnere mich einer solchen Über¬ fahrt, wo wir in einer schönen Nacht bey hellem Mond¬ schein vom Vatican zurückkamen. Von Bekannten wa¬ ren Bury, Hirt und Lips unter uns, und es hatte sich der gewöhnliche Streit entsponnen, wer größer sey, Raphael oder Michel Angelo. So bestiegen wir die Fähre. Als wir das andere Ufer erreicht hatten und der Streit noch in vollem Gange war, schlug ein lusti¬ ger Vogel, ich glaube es war Bury, vor, das Wasser nicht eher zu verlassen, als bis der Streit völlig abge¬ than sey und die Parteyen sich vereiniget hätten. Der Vorschlag wurde angenommen, der Fährmann mußte wieder abstoßen und zurückfahren. Aber nun wurde das Disputiren erst recht lebhaft, und wenn wir das Ufer erreicht hatten, mußten wir immer wieder zurück, denn der Streit war nicht entschieden. So fuhren wir Stundenlang hinüber und herüber, wobey niemand sich
II. 10
Ich fragte Hofrath Meyer wie weit es von der Villa di Malta bis zum Vatican ſey. „Von Trinita di Monte, in der Naͤhe der Villa, ſagte Meyer, wo wir Kuͤnſtler wohnten, iſt es bis zum Vatican eine gute halbe Stunde. Wir machten taͤglich den Weg und oft mehr als einmal.“ Der Weg uͤber die Bruͤcke, ſagte ich, ſcheint etwas um zu ſeyn; ich daͤchte man kaͤme naͤher, wenn man ſich uͤber die Tiber ſetzen ließe und durch das Feld ginge. „Es iſt nicht ſo, ſagte Meyer, aber wir hatten auch dieſen Glauben und ließen uns ſehr oft uͤberſetzen. Ich erinnere mich einer ſolchen Über¬ fahrt, wo wir in einer ſchoͤnen Nacht bey hellem Mond¬ ſchein vom Vatican zuruͤckkamen. Von Bekannten wa¬ ren Bury, Hirt und Lips unter uns, und es hatte ſich der gewoͤhnliche Streit entſponnen, wer groͤßer ſey, Raphael oder Michel Angelo. So beſtiegen wir die Faͤhre. Als wir das andere Ufer erreicht hatten und der Streit noch in vollem Gange war, ſchlug ein luſti¬ ger Vogel, ich glaube es war Bury, vor, das Waſſer nicht eher zu verlaſſen, als bis der Streit voͤllig abge¬ than ſey und die Parteyen ſich vereiniget haͤtten. Der Vorſchlag wurde angenommen, der Faͤhrmann mußte wieder abſtoßen und zuruͤckfahren. Aber nun wurde das Disputiren erſt recht lebhaft, und wenn wir das Ufer erreicht hatten, mußten wir immer wieder zuruͤck, denn der Streit war nicht entſchieden. So fuhren wir Stundenlang hinuͤber und heruͤber, wobey niemand ſich
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Ich fragte Hofrath Meyer wie weit es von der
Villa di Malta bis zum Vatican ſey. „Von Trinita
di Monte, in der Naͤhe der Villa, ſagte Meyer, wo
wir Kuͤnſtler wohnten, iſt es bis zum Vatican eine gute
halbe Stunde. Wir machten taͤglich den Weg und oft
mehr als einmal.“ Der Weg uͤber die Bruͤcke, ſagte
ich, ſcheint etwas um zu ſeyn; ich daͤchte man kaͤme
naͤher, wenn man ſich uͤber die Tiber ſetzen ließe und
durch das Feld ginge. „Es iſt nicht ſo, ſagte Meyer,
aber wir hatten auch dieſen Glauben und ließen uns
ſehr oft uͤberſetzen. Ich erinnere mich einer ſolchen Über¬
fahrt, wo wir in einer ſchoͤnen Nacht bey hellem Mond¬
ſchein vom Vatican zuruͤckkamen. Von Bekannten wa¬
ren Bury, Hirt und Lips unter uns, und es hatte
ſich der gewoͤhnliche Streit entſponnen, wer groͤßer ſey,
Raphael oder Michel Angelo. So beſtiegen wir
die Faͤhre. Als wir das andere Ufer erreicht hatten und
der Streit noch in vollem Gange war, ſchlug ein luſti¬
ger Vogel, ich glaube es war Bury, vor, das Waſſer
nicht eher zu verlaſſen, als bis der Streit voͤllig abge¬
than ſey und die Parteyen ſich vereiniget haͤtten. Der
Vorſchlag wurde angenommen, der Faͤhrmann mußte
wieder abſtoßen und zuruͤckfahren. Aber nun wurde
das Disputiren erſt recht lebhaft, und wenn wir das
Ufer erreicht hatten, mußten wir immer wieder zuruͤck,
denn der Streit war nicht entſchieden. So fuhren wir
Stundenlang hinuͤber und heruͤber, wobey niemand ſich
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/155>, abgerufen am 23.11.2024.
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