seiner Grille, und den Baum ließ er umhauen, damit er nicht gegen ihn zeugen möchte."
"Sie werden gestehen, daß in diesem Verfahren eines so großen Characters durchaus etwas Problemati¬ sches liege. Aber wissen Sie wie ich es mir erkläre? Der Mensch kann seine Jugendeindrücke nicht los wer¬ den, und dieses geht so weit, daß selbst mangelhafte Dinge, woran er sich in solchen Jahren gewöhnt, und in deren Umgebung er jene glückliche Zeit gelebt hat, ihm auch später in dem Grade lieb und werth bleiben, daß er darüber wie verblendet ist, und er das Fehlerhafte daran nicht einsieht. So wollte denn Peter der Große das liebe Amsterdam seiner Jugend in einer Hauptstadt am Ausflusse der Newa wiederholen; so wie die Hollän¬ der immer versucht worden sind, in ihren entfernten Besitzungen ein neues Amsterdam wiederholt zu gründen."
Montag, den 13. April 1829.
Heute, nachdem Goethe über Tisch mir manches gute Wort gesagt, erquickte ich mich zum Nachtisch noch an einigen Landschaften von Claude Lorrain. "Die Sammlung, sagte Goethe, führt den Titel: Liber veri¬ tatis, sie könnte eben so gut liber naturae et artis hei¬ ßen, denn es findet sich hier die Natur und Kunst auf der höchsten Stufe und im schönsten Bunde."
ſeiner Grille, und den Baum ließ er umhauen, damit er nicht gegen ihn zeugen moͤchte.“
„Sie werden geſtehen, daß in dieſem Verfahren eines ſo großen Characters durchaus etwas Problemati¬ ſches liege. Aber wiſſen Sie wie ich es mir erklaͤre? Der Menſch kann ſeine Jugendeindruͤcke nicht los wer¬ den, und dieſes geht ſo weit, daß ſelbſt mangelhafte Dinge, woran er ſich in ſolchen Jahren gewoͤhnt, und in deren Umgebung er jene gluͤckliche Zeit gelebt hat, ihm auch ſpaͤter in dem Grade lieb und werth bleiben, daß er daruͤber wie verblendet iſt, und er das Fehlerhafte daran nicht einſieht. So wollte denn Peter der Große das liebe Amſterdam ſeiner Jugend in einer Hauptſtadt am Ausfluſſe der Newa wiederholen; ſo wie die Hollaͤn¬ der immer verſucht worden ſind, in ihren entfernten Beſitzungen ein neues Amſterdam wiederholt zu gruͤnden.“
Montag, den 13. April 1829.
Heute, nachdem Goethe uͤber Tiſch mir manches gute Wort geſagt, erquickte ich mich zum Nachtiſch noch an einigen Landſchaften von Claude Lorrain. „Die Sammlung, ſagte Goethe, fuͤhrt den Titel: Liber veri¬ tatis, ſie koͤnnte eben ſo gut liber naturae et artis hei¬ ßen, denn es findet ſich hier die Natur und Kunſt auf der hoͤchſten Stufe und im ſchoͤnſten Bunde.“
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0151"n="141"/>ſeiner Grille, und den Baum ließ er umhauen, damit<lb/>
er nicht gegen ihn zeugen moͤchte.“</p><lb/><p>„Sie werden geſtehen, daß in dieſem Verfahren<lb/>
eines ſo großen Characters durchaus etwas Problemati¬<lb/>ſches liege. Aber wiſſen Sie wie ich es mir erklaͤre?<lb/>
Der Menſch kann ſeine Jugendeindruͤcke nicht los wer¬<lb/>
den, und dieſes geht ſo weit, daß ſelbſt mangelhafte<lb/>
Dinge, woran er ſich in ſolchen Jahren gewoͤhnt, und<lb/>
in deren Umgebung er jene gluͤckliche Zeit gelebt hat,<lb/>
ihm auch ſpaͤter in dem Grade lieb und werth bleiben,<lb/>
daß er daruͤber wie verblendet iſt, und er das Fehlerhafte<lb/>
daran nicht einſieht. So wollte denn Peter der Große<lb/>
das liebe Amſterdam ſeiner Jugend in einer Hauptſtadt<lb/>
am Ausfluſſe der Newa wiederholen; ſo wie die Hollaͤn¬<lb/>
der immer verſucht worden ſind, in ihren entfernten<lb/>
Beſitzungen ein neues Amſterdam wiederholt zu gruͤnden.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Montag, den 13. April 1829.<lb/></dateline><p>Heute, nachdem Goethe uͤber Tiſch mir manches gute<lb/>
Wort geſagt, erquickte ich mich zum Nachtiſch noch an<lb/>
einigen Landſchaften von <hirendition="#g">Claude Lorrain</hi>. „Die<lb/>
Sammlung, ſagte Goethe, fuͤhrt den Titel: <hirendition="#aq">Liber veri¬<lb/>
tatis</hi>, ſie koͤnnte eben ſo gut <hirendition="#aq">liber naturae et artis</hi> hei¬<lb/>
ßen, denn es findet ſich hier die Natur und Kunſt auf<lb/>
der hoͤchſten Stufe und im ſchoͤnſten Bunde.“</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[141/0151]
ſeiner Grille, und den Baum ließ er umhauen, damit
er nicht gegen ihn zeugen moͤchte.“
„Sie werden geſtehen, daß in dieſem Verfahren
eines ſo großen Characters durchaus etwas Problemati¬
ſches liege. Aber wiſſen Sie wie ich es mir erklaͤre?
Der Menſch kann ſeine Jugendeindruͤcke nicht los wer¬
den, und dieſes geht ſo weit, daß ſelbſt mangelhafte
Dinge, woran er ſich in ſolchen Jahren gewoͤhnt, und
in deren Umgebung er jene gluͤckliche Zeit gelebt hat,
ihm auch ſpaͤter in dem Grade lieb und werth bleiben,
daß er daruͤber wie verblendet iſt, und er das Fehlerhafte
daran nicht einſieht. So wollte denn Peter der Große
das liebe Amſterdam ſeiner Jugend in einer Hauptſtadt
am Ausfluſſe der Newa wiederholen; ſo wie die Hollaͤn¬
der immer verſucht worden ſind, in ihren entfernten
Beſitzungen ein neues Amſterdam wiederholt zu gruͤnden.“
Montag, den 13. April 1829.
Heute, nachdem Goethe uͤber Tiſch mir manches gute
Wort geſagt, erquickte ich mich zum Nachtiſch noch an
einigen Landſchaften von Claude Lorrain. „Die
Sammlung, ſagte Goethe, fuͤhrt den Titel: Liber veri¬
tatis, ſie koͤnnte eben ſo gut liber naturae et artis hei¬
ßen, denn es findet ſich hier die Natur und Kunſt auf
der hoͤchſten Stufe und im ſchoͤnſten Bunde.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/151>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.