sagte er; die Säfte sind Theilen überflüssig zugeleitet, die sie nicht haben wollen, und andern, die sie bedurft hätten, sind sie entzogen. Das Süjet war gut, sehr gut, aber die Scenen, die ich erwartete, waren nicht da, und andere, die ich nicht erwartete, waren mit Fleiß und Liebe behandelt. Ich dächte, das wäre pathologisch oder auch romantisch, wenn Sie nach unserer neuen Theorie lieber wollen."
Wir waren darauf noch eine Weile heiter beysam¬ men, und Goethe bewirthete mich zuletzt noch mit vie¬ lem Honig, auch mit einigen Datteln, die ich mitnahm.
Montag, den 6. April 1829.
Goethe gab mir einen Brief von Egon Ebert, den ich bey Tische las und der mir Freude machte. Wir sprachen viel Löbliches von Egon Ebert und Böh¬ men, und gedachten auch des Professors Zauper mit Liebe.
"Das Böhmen ist ein eigenes Land, sagte Goethe, ich bin dort immer gerne gewesen. Die Bildung der Literatoren hat noch etwas Reines, welches im nördli¬ chen Deutschland schon anfängt selten zu werden, indem hier jeder Lump schreibt, bey dem an ein sittliches Fun¬ dament und eine höhere Absicht nicht zu denken ist."
ſagte er; die Saͤfte ſind Theilen uͤberfluͤſſig zugeleitet, die ſie nicht haben wollen, und andern, die ſie bedurft haͤtten, ſind ſie entzogen. Das Suͤjet war gut, ſehr gut, aber die Scenen, die ich erwartete, waren nicht da, und andere, die ich nicht erwartete, waren mit Fleiß und Liebe behandelt. Ich daͤchte, das waͤre pathologiſch oder auch romantiſch, wenn Sie nach unſerer neuen Theorie lieber wollen.“
Wir waren darauf noch eine Weile heiter beyſam¬ men, und Goethe bewirthete mich zuletzt noch mit vie¬ lem Honig, auch mit einigen Datteln, die ich mitnahm.
Montag, den 6. April 1829.
Goethe gab mir einen Brief von Egon Ebert, den ich bey Tiſche las und der mir Freude machte. Wir ſprachen viel Loͤbliches von Egon Ebert und Boͤh¬ men, und gedachten auch des Profeſſors Zauper mit Liebe.
„Das Boͤhmen iſt ein eigenes Land, ſagte Goethe, ich bin dort immer gerne geweſen. Die Bildung der Literatoren hat noch etwas Reines, welches im noͤrdli¬ chen Deutſchland ſchon anfaͤngt ſelten zu werden, indem hier jeder Lump ſchreibt, bey dem an ein ſittliches Fun¬ dament und eine hoͤhere Abſicht nicht zu denken iſt.“
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ſagte er; die Saͤfte ſind Theilen uͤberfluͤſſig zugeleitet,
die ſie nicht haben wollen, und andern, die ſie bedurft
haͤtten, ſind ſie entzogen. Das Suͤjet war gut, ſehr
gut, aber die Scenen, die ich erwartete, waren nicht
da, und andere, die ich nicht erwartete, waren mit Fleiß
und Liebe behandelt. Ich daͤchte, das waͤre pathologiſch
oder auch romantiſch, wenn Sie nach unſerer neuen
Theorie lieber wollen.“
Wir waren darauf noch eine Weile heiter beyſam¬
men, und Goethe bewirthete mich zuletzt noch mit vie¬
lem Honig, auch mit einigen Datteln, die ich mitnahm.
Montag, den 6. April 1829.
Goethe gab mir einen Brief von Egon Ebert,
den ich bey Tiſche las und der mir Freude machte.
Wir ſprachen viel Loͤbliches von Egon Ebert und Boͤh¬
men, und gedachten auch des Profeſſors Zauper mit
Liebe.
„Das Boͤhmen iſt ein eigenes Land, ſagte Goethe,
ich bin dort immer gerne geweſen. Die Bildung der
Literatoren hat noch etwas Reines, welches im noͤrdli¬
chen Deutſchland ſchon anfaͤngt ſelten zu werden, indem
hier jeder Lump ſchreibt, bey dem an ein ſittliches Fun¬
dament und eine hoͤhere Abſicht nicht zu denken iſt.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/113>, abgerufen am 21.11.2024.
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