gegangen, und zwar durch den Einfluß der Geistlichen in ihren verschiedenen Gemeinden. "Von meinem Wer¬ ther, sagte Goethe, erschien sehr bald eine italienische Übersetzung in Mayland. Aber von der ganzen Auflage war in kurzem auch nicht ein einziges Exemplar mehr zu sehen. Der Bischof war dahinter gekommen und hatte die ganze Edition von den Geistlichen in den Ge¬ meinden aufkaufen lassen. Es verdroß mich nicht, ich freute mich vielmehr über den klugen Herrn, der sogleich einsah, daß der Werther für die Catholiken ein schlech¬ tes Buch sey, und ich mußte ihn loben, daß er auf der Stelle die wirksamsten Mittel ergriffen, es ganz im Stillen wieder aus der Welt zu schaffen."
Sonntag, den 5. April 1829.
Goethe erzählte mir, daß er vor Tisch nach Belve¬ dere gefahren sey, um Coudray's neue Treppe im Schloß in Augenschein zu nehmen, die er vortrefflich gefunden. Auch sagte er mir, daß ein großer verstei¬ nerter Klotz angekommen, den er mir zeigen wolle.
"Solche versteinerte Stämme, sagte er, finden sich unter dem einundfunfzigsten Grade ganz herum bis nach Amerika, wie ein Erdgürtel. Man muß immer mehr
gegangen, und zwar durch den Einfluß der Geiſtlichen in ihren verſchiedenen Gemeinden. „Von meinem Wer¬ ther, ſagte Goethe, erſchien ſehr bald eine italieniſche Überſetzung in Mayland. Aber von der ganzen Auflage war in kurzem auch nicht ein einziges Exemplar mehr zu ſehen. Der Biſchof war dahinter gekommen und hatte die ganze Edition von den Geiſtlichen in den Ge¬ meinden aufkaufen laſſen. Es verdroß mich nicht, ich freute mich vielmehr uͤber den klugen Herrn, der ſogleich einſah, daß der Werther fuͤr die Catholiken ein ſchlech¬ tes Buch ſey, und ich mußte ihn loben, daß er auf der Stelle die wirkſamſten Mittel ergriffen, es ganz im Stillen wieder aus der Welt zu ſchaffen.“
Sonntag, den 5. April 1829.
Goethe erzaͤhlte mir, daß er vor Tiſch nach Belve¬ dere gefahren ſey, um Coudray's neue Treppe im Schloß in Augenſchein zu nehmen, die er vortrefflich gefunden. Auch ſagte er mir, daß ein großer verſtei¬ nerter Klotz angekommen, den er mir zeigen wolle.
„Solche verſteinerte Staͤmme, ſagte er, finden ſich unter dem einundfunfzigſten Grade ganz herum bis nach Amerika, wie ein Erdguͤrtel. Man muß immer mehr
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0110"n="100"/>
gegangen, und zwar durch den Einfluß der Geiſtlichen<lb/>
in ihren verſchiedenen Gemeinden. „Von meinem <hirendition="#g">Wer¬<lb/>
ther</hi>, ſagte Goethe, erſchien ſehr bald eine italieniſche<lb/>
Überſetzung in Mayland. Aber von der ganzen Auflage<lb/>
war in kurzem auch nicht ein einziges Exemplar mehr<lb/>
zu ſehen. Der Biſchof war dahinter gekommen und<lb/>
hatte die ganze Edition von den Geiſtlichen in den Ge¬<lb/>
meinden aufkaufen laſſen. Es verdroß mich nicht, ich<lb/>
freute mich vielmehr uͤber den klugen Herrn, der ſogleich<lb/>
einſah, daß der Werther fuͤr die Catholiken ein ſchlech¬<lb/>
tes Buch ſey, und ich mußte ihn loben, daß er auf<lb/>
der Stelle die wirkſamſten Mittel ergriffen, es ganz im<lb/>
Stillen wieder aus der Welt zu ſchaffen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Sonntag, den 5. April 1829.<lb/></dateline><p>Goethe erzaͤhlte mir, daß er vor Tiſch nach Belve¬<lb/>
dere gefahren ſey, um <hirendition="#g">Coudray's</hi> neue Treppe im<lb/>
Schloß in Augenſchein zu nehmen, die er vortrefflich<lb/>
gefunden. Auch ſagte er mir, daß ein großer verſtei¬<lb/>
nerter Klotz angekommen, den er mir zeigen wolle.</p><lb/><p>„Solche verſteinerte Staͤmme, ſagte er, finden ſich<lb/>
unter dem einundfunfzigſten Grade ganz herum bis nach<lb/>
Amerika, wie ein Erdguͤrtel. Man muß immer mehr<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[100/0110]
gegangen, und zwar durch den Einfluß der Geiſtlichen
in ihren verſchiedenen Gemeinden. „Von meinem Wer¬
ther, ſagte Goethe, erſchien ſehr bald eine italieniſche
Überſetzung in Mayland. Aber von der ganzen Auflage
war in kurzem auch nicht ein einziges Exemplar mehr
zu ſehen. Der Biſchof war dahinter gekommen und
hatte die ganze Edition von den Geiſtlichen in den Ge¬
meinden aufkaufen laſſen. Es verdroß mich nicht, ich
freute mich vielmehr uͤber den klugen Herrn, der ſogleich
einſah, daß der Werther fuͤr die Catholiken ein ſchlech¬
tes Buch ſey, und ich mußte ihn loben, daß er auf
der Stelle die wirkſamſten Mittel ergriffen, es ganz im
Stillen wieder aus der Welt zu ſchaffen.“
Sonntag, den 5. April 1829.
Goethe erzaͤhlte mir, daß er vor Tiſch nach Belve¬
dere gefahren ſey, um Coudray's neue Treppe im
Schloß in Augenſchein zu nehmen, die er vortrefflich
gefunden. Auch ſagte er mir, daß ein großer verſtei¬
nerter Klotz angekommen, den er mir zeigen wolle.
„Solche verſteinerte Staͤmme, ſagte er, finden ſich
unter dem einundfunfzigſten Grade ganz herum bis nach
Amerika, wie ein Erdguͤrtel. Man muß immer mehr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/110>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.