Ich ging gegen fünf zu Goethe. Als ich hinaufkam, hörte ich in dem größeren Zimmer sehr laut und munter reden und scherzen. Der Bediente sagte mir, die junge polnische Dame sey dort zu Tisch gewesen und die Ge¬ sellschaft noch beysammen. Ich wollte wieder gehen, allein er sagte, er habe den Befehl mich zu melden; auch wäre es seinem Herrn vielleicht lieb, weil es schon spät sey. Ich ließ ihn daher gewähren und wartete ein Weilchen, wo denn Goethe sehr heiter herauskam und mit mir gegenüber in sein Zimmer ging. Mein Besuch schien ihm angenehm zu seyn. Er ließ sogleich eine Flasche Wein bringen, wovon er mir einschenkte und auch sich selber gelegentlich.
"Ehe ich es vergesse, sagte er dann, indem er auf dem Tisch etwas suchte, hier haben Sie ein Billet ins Concert. Madame Szymanowska wird morgen Abend im Saale des Stadthauses ein öffentliches Concert geben, das dürfen Sie ja nicht versäumen." Ich sagte ihm, daß ich meine Thorheit von neulich nicht zum zweyten¬ mal begehen würde. Sie soll sehr gut gespielt haben, fügte ich hinzu. "Ganz vortrefflich!" sagte Goethe. Wohl so gut wie Hummel? fragte ich. "Sie müssen bedenken, sagte Goethe, daß sie nicht allein eine große Virtuosin, sondern zugleich ein schönes Weib ist; da kommt es uns denn vor, als ob alles anmuthiger wäre; sie hat eine meisterhafte Fertigkeit, man muß erstaunen!"
Montag den 3. November 1823.
Ich ging gegen fuͤnf zu Goethe. Als ich hinaufkam, hoͤrte ich in dem groͤßeren Zimmer ſehr laut und munter reden und ſcherzen. Der Bediente ſagte mir, die junge polniſche Dame ſey dort zu Tiſch geweſen und die Ge¬ ſellſchaft noch beyſammen. Ich wollte wieder gehen, allein er ſagte, er habe den Befehl mich zu melden; auch waͤre es ſeinem Herrn vielleicht lieb, weil es ſchon ſpaͤt ſey. Ich ließ ihn daher gewaͤhren und wartete ein Weilchen, wo denn Goethe ſehr heiter herauskam und mit mir gegenuͤber in ſein Zimmer ging. Mein Beſuch ſchien ihm angenehm zu ſeyn. Er ließ ſogleich eine Flaſche Wein bringen, wovon er mir einſchenkte und auch ſich ſelber gelegentlich.
„Ehe ich es vergeſſe, ſagte er dann, indem er auf dem Tiſch etwas ſuchte, hier haben Sie ein Billet ins Concert. Madame Szymanowska wird morgen Abend im Saale des Stadthauſes ein oͤffentliches Concert geben, das duͤrfen Sie ja nicht verſaͤumen.“ Ich ſagte ihm, daß ich meine Thorheit von neulich nicht zum zweyten¬ mal begehen wuͤrde. Sie ſoll ſehr gut geſpielt haben, fuͤgte ich hinzu. „Ganz vortrefflich!“ ſagte Goethe. Wohl ſo gut wie Hummel? fragte ich. „Sie muͤſſen bedenken, ſagte Goethe, daß ſie nicht allein eine große Virtuoſin, ſondern zugleich ein ſchoͤnes Weib iſt; da kommt es uns denn vor, als ob alles anmuthiger waͤre; ſie hat eine meiſterhafte Fertigkeit, man muß erſtaunen!“
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Montag den 3. November 1823.
Ich ging gegen fuͤnf zu Goethe. Als ich hinaufkam,
hoͤrte ich in dem groͤßeren Zimmer ſehr laut und munter
reden und ſcherzen. Der Bediente ſagte mir, die junge
polniſche Dame ſey dort zu Tiſch geweſen und die Ge¬
ſellſchaft noch beyſammen. Ich wollte wieder gehen,
allein er ſagte, er habe den Befehl mich zu melden;
auch waͤre es ſeinem Herrn vielleicht lieb, weil es ſchon
ſpaͤt ſey. Ich ließ ihn daher gewaͤhren und wartete
ein Weilchen, wo denn Goethe ſehr heiter herauskam
und mit mir gegenuͤber in ſein Zimmer ging. Mein
Beſuch ſchien ihm angenehm zu ſeyn. Er ließ ſogleich
eine Flaſche Wein bringen, wovon er mir einſchenkte
und auch ſich ſelber gelegentlich.
„Ehe ich es vergeſſe, ſagte er dann, indem er auf
dem Tiſch etwas ſuchte, hier haben Sie ein Billet ins
Concert. Madame Szymanowska wird morgen Abend
im Saale des Stadthauſes ein oͤffentliches Concert geben,
das duͤrfen Sie ja nicht verſaͤumen.“ Ich ſagte ihm,
daß ich meine Thorheit von neulich nicht zum zweyten¬
mal begehen wuͤrde. Sie ſoll ſehr gut geſpielt haben,
fuͤgte ich hinzu. „Ganz vortrefflich!“ ſagte Goethe.
Wohl ſo gut wie Hummel? fragte ich. „Sie muͤſſen
bedenken, ſagte Goethe, daß ſie nicht allein eine große
Virtuoſin, ſondern zugleich ein ſchoͤnes Weib iſt; da
kommt es uns denn vor, als ob alles anmuthiger waͤre;
ſie hat eine meiſterhafte Fertigkeit, man muß erſtaunen!“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/97>, abgerufen am 28.11.2024.
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