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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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mir manchen Gönner erworben; sie versprachen mir
ihre Mitwirkung, jedoch unter der Bedingung, daß ich
mich entschließen wolle ein sogenanntes Brodstudium
zu wählen. Da aber dergleichen nicht in der Richtung
meiner Natur lag und da ich in der festen Überzeugung
lebte, daß der Mensch nur dasjenige cultiviren müsse
wohin ein unausgesetzter Drang seines Innern gehe,
so blieb ich bey meinem Sinn und jene versagten mir
ihre Hülfe, indem endlich nichts weiter erfolgen sollte
als ein Freytisch.

Es blieb nun nichts übrig als meinen Plan durch
eigene Kräfte durchzusetzen und mich zu einer literarischen
Production von einiger Bedeutung zusammenzunehmen.

Müllners Schuld und Grillparzers Ahnfrau wa¬
ren zu dieser Zeit an der Tagesordnung und machten
viel Aufsehen. Meinem Naturgefühl waren diese künst¬
lichen Werke zuwider, noch weniger konnte ich mich
mit ihren Schicksalsideen befreunden, von denen ich der
Meinung war, daß daraus eine unsittliche Wirkung auf
das Volk hervorgehe. Ich faßte daher den Entschluß
gegen sie aufzutreten und darzuthun, daß das Schicksal
in den Characteren ruhe. Aber ich wollte nicht mit
Worten gegen sie streiten sondern mit der That. Ein
Stück sollte erscheinen welches die Wahrheit ausspreche,
daß der Mensch in der Gegenwart Samen streue der
in der Zukunft aufgehe und Früchte bringe, gute oder
böse, je nachdem er gesäet habe. Mit der Weltgeschichte

mir manchen Goͤnner erworben; ſie verſprachen mir
ihre Mitwirkung, jedoch unter der Bedingung, daß ich
mich entſchließen wolle ein ſogenanntes Brodſtudium
zu waͤhlen. Da aber dergleichen nicht in der Richtung
meiner Natur lag und da ich in der feſten Überzeugung
lebte, daß der Menſch nur dasjenige cultiviren muͤſſe
wohin ein unausgeſetzter Drang ſeines Innern gehe,
ſo blieb ich bey meinem Sinn und jene verſagten mir
ihre Huͤlfe, indem endlich nichts weiter erfolgen ſollte
als ein Freytiſch.

Es blieb nun nichts uͤbrig als meinen Plan durch
eigene Kraͤfte durchzuſetzen und mich zu einer literariſchen
Production von einiger Bedeutung zuſammenzunehmen.

Muͤllners Schuld und Grillparzers Ahnfrau wa¬
ren zu dieſer Zeit an der Tagesordnung und machten
viel Aufſehen. Meinem Naturgefuͤhl waren dieſe kuͤnſt¬
lichen Werke zuwider, noch weniger konnte ich mich
mit ihren Schickſalsideen befreunden, von denen ich der
Meinung war, daß daraus eine unſittliche Wirkung auf
das Volk hervorgehe. Ich faßte daher den Entſchluß
gegen ſie aufzutreten und darzuthun, daß das Schickſal
in den Characteren ruhe. Aber ich wollte nicht mit
Worten gegen ſie ſtreiten ſondern mit der That. Ein
Stuͤck ſollte erſcheinen welches die Wahrheit ausſpreche,
daß der Menſch in der Gegenwart Samen ſtreue der
in der Zukunft aufgehe und Fruͤchte bringe, gute oder
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[26/0046] mir manchen Goͤnner erworben; ſie verſprachen mir ihre Mitwirkung, jedoch unter der Bedingung, daß ich mich entſchließen wolle ein ſogenanntes Brodſtudium zu waͤhlen. Da aber dergleichen nicht in der Richtung meiner Natur lag und da ich in der feſten Überzeugung lebte, daß der Menſch nur dasjenige cultiviren muͤſſe wohin ein unausgeſetzter Drang ſeines Innern gehe, ſo blieb ich bey meinem Sinn und jene verſagten mir ihre Huͤlfe, indem endlich nichts weiter erfolgen ſollte als ein Freytiſch. Es blieb nun nichts uͤbrig als meinen Plan durch eigene Kraͤfte durchzuſetzen und mich zu einer literariſchen Production von einiger Bedeutung zuſammenzunehmen. Muͤllners Schuld und Grillparzers Ahnfrau wa¬ ren zu dieſer Zeit an der Tagesordnung und machten viel Aufſehen. Meinem Naturgefuͤhl waren dieſe kuͤnſt¬ lichen Werke zuwider, noch weniger konnte ich mich mit ihren Schickſalsideen befreunden, von denen ich der Meinung war, daß daraus eine unſittliche Wirkung auf das Volk hervorgehe. Ich faßte daher den Entſchluß gegen ſie aufzutreten und darzuthun, daß das Schickſal in den Characteren ruhe. Aber ich wollte nicht mit Worten gegen ſie ſtreiten ſondern mit der That. Ein Stuͤck ſollte erſcheinen welches die Wahrheit ausſpreche, daß der Menſch in der Gegenwart Samen ſtreue der in der Zukunft aufgehe und Fruͤchte bringe, gute oder boͤſe, je nachdem er geſaͤet habe. Mit der Weltgeſchichte

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/46>, abgerufen am 02.05.2024.