Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

meinen Präparationen. Gegen acht ging es in die
Schule bis zehn Uhr. Von dort eilte ich auf mein
Büreau zu den Dienstgeschäften, die meine Gegenwart
bis gegen ein Uhr verlangten. Im Fluge ging es
sodann nach Haus; ich verschluckte ein wenig Mittags¬
essen und war gleich nach ein Uhr wieder in der
Schule. Die Stunden dauerten bis vier Uhr, worauf
ich denn wieder bis nach sieben Uhr in meinem Be¬
ruf beschäftiget war und den ferneren Abend zu Prä¬
parationen und Privatunterricht verwendete.

Dieses Leben und Treiben verführte ich einige
Monate; allein meine Kräfte waren einer solchen An¬
strengung nicht gewachsen, und es bestätigte sich die
alte Wahrheit: daß niemand zween Herren dienen könne.
Der Mangel an freyer Luft und Bewegung, so wie
die fehlende Zeit und Ruhe zum Essen, Trinken und
Schlaf, erzeugten nach und nach einen krankhaften
Zustand; ich fühlte mich abgestumpft an Leib und
Seele und sah mich zuletzt in der dringenden Noth¬
wendigkeit, entweder die Schule aufzugeben oder meine
Stelle. Da aber das letztere meiner Existenz wegen
nicht anging, so blieb kein anderer Ausweg als das
erstere zu thun und ich trat mit dem beginnenden
Frühling 1817 wieder aus. Es schien zu dem besondern
Geschick meines Lebens zu gehören Mancherley zu
probiren
, und so gereute es mich denn keineswegs auch
eine gelehrte Schule eine Zeitlang probirt zu haben.

meinen Praͤparationen. Gegen acht ging es in die
Schule bis zehn Uhr. Von dort eilte ich auf mein
Buͤreau zu den Dienſtgeſchaͤften, die meine Gegenwart
bis gegen ein Uhr verlangten. Im Fluge ging es
ſodann nach Haus; ich verſchluckte ein wenig Mittags¬
eſſen und war gleich nach ein Uhr wieder in der
Schule. Die Stunden dauerten bis vier Uhr, worauf
ich denn wieder bis nach ſieben Uhr in meinem Be¬
ruf beſchaͤftiget war und den ferneren Abend zu Praͤ¬
parationen und Privatunterricht verwendete.

Dieſes Leben und Treiben verfuͤhrte ich einige
Monate; allein meine Kraͤfte waren einer ſolchen An¬
ſtrengung nicht gewachſen, und es beſtaͤtigte ſich die
alte Wahrheit: daß niemand zween Herren dienen koͤnne.
Der Mangel an freyer Luft und Bewegung, ſo wie
die fehlende Zeit und Ruhe zum Eſſen, Trinken und
Schlaf, erzeugten nach und nach einen krankhaften
Zuſtand; ich fuͤhlte mich abgeſtumpft an Leib und
Seele und ſah mich zuletzt in der dringenden Noth¬
wendigkeit, entweder die Schule aufzugeben oder meine
Stelle. Da aber das letztere meiner Exiſtenz wegen
nicht anging, ſo blieb kein anderer Ausweg als das
erſtere zu thun und ich trat mit dem beginnenden
Fruͤhling 1817 wieder aus. Es ſchien zu dem beſondern
Geſchick meines Lebens zu gehoͤren Mancherley zu
probiren
, und ſo gereute es mich denn keineswegs auch
eine gelehrte Schule eine Zeitlang probirt zu haben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="24"/>
meinen Pra&#x0364;parationen. Gegen <hi rendition="#g">acht</hi> ging es in die<lb/>
Schule bis <hi rendition="#g">zehn</hi> Uhr. Von dort eilte ich auf mein<lb/>
Bu&#x0364;reau zu den Dien&#x017F;tge&#x017F;cha&#x0364;ften, die meine Gegenwart<lb/>
bis gegen <hi rendition="#g">ein</hi> Uhr verlangten. Im Fluge ging es<lb/>
&#x017F;odann nach Haus; ich ver&#x017F;chluckte ein wenig Mittags¬<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en und war gleich nach <hi rendition="#g">ein</hi> Uhr wieder in der<lb/>
Schule. Die Stunden dauerten bis <hi rendition="#g">vier</hi> Uhr, worauf<lb/>
ich denn wieder bis nach <hi rendition="#g">&#x017F;ieben</hi> Uhr in meinem Be¬<lb/>
ruf be&#x017F;cha&#x0364;ftiget war und den ferneren Abend zu Pra&#x0364;¬<lb/>
parationen und Privatunterricht verwendete.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es Leben und Treiben verfu&#x0364;hrte ich einige<lb/>
Monate; allein meine Kra&#x0364;fte waren einer &#x017F;olchen An¬<lb/>
&#x017F;trengung nicht gewach&#x017F;en, und es be&#x017F;ta&#x0364;tigte &#x017F;ich die<lb/>
alte Wahrheit: daß niemand zween Herren dienen ko&#x0364;nne.<lb/>
Der Mangel an freyer Luft und Bewegung, &#x017F;o wie<lb/>
die fehlende Zeit und Ruhe zum E&#x017F;&#x017F;en, Trinken und<lb/>
Schlaf, erzeugten nach und nach einen krankhaften<lb/>
Zu&#x017F;tand; ich fu&#x0364;hlte mich abge&#x017F;tumpft an Leib und<lb/>
Seele und &#x017F;ah mich zuletzt in der dringenden Noth¬<lb/>
wendigkeit, entweder die Schule aufzugeben oder meine<lb/>
Stelle. Da aber das letztere meiner Exi&#x017F;tenz wegen<lb/>
nicht anging, &#x017F;o blieb kein anderer Ausweg als das<lb/>
er&#x017F;tere zu thun und ich trat mit dem beginnenden<lb/>
Fru&#x0364;hling 1817 wieder aus. Es &#x017F;chien zu dem be&#x017F;ondern<lb/>
Ge&#x017F;chick meines Lebens zu geho&#x0364;ren <hi rendition="#g">Mancherley zu<lb/>
probiren</hi>, und &#x017F;o gereute es mich denn keineswegs auch<lb/>
eine gelehrte Schule eine Zeitlang probirt zu haben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0044] meinen Praͤparationen. Gegen acht ging es in die Schule bis zehn Uhr. Von dort eilte ich auf mein Buͤreau zu den Dienſtgeſchaͤften, die meine Gegenwart bis gegen ein Uhr verlangten. Im Fluge ging es ſodann nach Haus; ich verſchluckte ein wenig Mittags¬ eſſen und war gleich nach ein Uhr wieder in der Schule. Die Stunden dauerten bis vier Uhr, worauf ich denn wieder bis nach ſieben Uhr in meinem Be¬ ruf beſchaͤftiget war und den ferneren Abend zu Praͤ¬ parationen und Privatunterricht verwendete. Dieſes Leben und Treiben verfuͤhrte ich einige Monate; allein meine Kraͤfte waren einer ſolchen An¬ ſtrengung nicht gewachſen, und es beſtaͤtigte ſich die alte Wahrheit: daß niemand zween Herren dienen koͤnne. Der Mangel an freyer Luft und Bewegung, ſo wie die fehlende Zeit und Ruhe zum Eſſen, Trinken und Schlaf, erzeugten nach und nach einen krankhaften Zuſtand; ich fuͤhlte mich abgeſtumpft an Leib und Seele und ſah mich zuletzt in der dringenden Noth¬ wendigkeit, entweder die Schule aufzugeben oder meine Stelle. Da aber das letztere meiner Exiſtenz wegen nicht anging, ſo blieb kein anderer Ausweg als das erſtere zu thun und ich trat mit dem beginnenden Fruͤhling 1817 wieder aus. Es ſchien zu dem beſondern Geſchick meines Lebens zu gehoͤren Mancherley zu probiren, und ſo gereute es mich denn keineswegs auch eine gelehrte Schule eine Zeitlang probirt zu haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/44
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/44>, abgerufen am 02.05.2024.