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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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aus seinen leichten Versen heraus mit Augen zu sehen
wähnt. Und dabey macht er sich keineswegs viele Scru¬
pel, ob ein Gegenstand poetisch sey oder nicht, sondern
er ergreift und gebraucht alles, wie es ihm vorkommt
bis auf die gekräuselten Perücken vor den Fenstern der
Haarschneider und bis auf die Männer, welche die
Straßenlaternen mit Oel versehen.

"Unsere deutschen Ästhetiker, sagte Goethe, reden
zwar viel von poetischen und unpoetischen Gegenständen,
und sie mögen auch in gewisser Hinsicht nicht ganz
Unrecht haben; allein im Grunde bleibt kein realer
Gegenstand unpoetisch, sobald der Dichter ihn gehörig zu
gebrauchen weiß."

Sehr wahr! sagte ich, und ich möchte wohl, daß
diese Ansicht zur allgemeinen Maxime würde. Wir
sprachen darauf über die beyden Foscari, wobey ich die
Bemerkung machte, daß Byron ganz vortreffliche Frauen
zeichne.

"Seine Frauen, sagte Goethe, sind gut. Es ist
aber auch das einzige Gefäß, was uns Neueren noch
geblieben ist, um unsere Idealität hinein zu gießen.
Mit den Männern ist nichts zu thun. Im Achill und
Odysseus, dem Tapfersten und Klügsten, hat der Homer
alles vorweggenommen."

Übrigens, fuhr ich fort, haben die Foscari wegen
der durchgehenden Folter-Qualen etwas Apprehensives,
und man begreift kaum, wie Byron im Innern dieses

aus ſeinen leichten Verſen heraus mit Augen zu ſehen
waͤhnt. Und dabey macht er ſich keineswegs viele Scru¬
pel, ob ein Gegenſtand poetiſch ſey oder nicht, ſondern
er ergreift und gebraucht alles, wie es ihm vorkommt
bis auf die gekraͤuſelten Peruͤcken vor den Fenſtern der
Haarſchneider und bis auf die Maͤnner, welche die
Straßenlaternen mit Oel verſehen.

„Unſere deutſchen Äſthetiker, ſagte Goethe, reden
zwar viel von poetiſchen und unpoetiſchen Gegenſtaͤnden,
und ſie moͤgen auch in gewiſſer Hinſicht nicht ganz
Unrecht haben; allein im Grunde bleibt kein realer
Gegenſtand unpoetiſch, ſobald der Dichter ihn gehoͤrig zu
gebrauchen weiß.“

Sehr wahr! ſagte ich, und ich moͤchte wohl, daß
dieſe Anſicht zur allgemeinen Maxime wuͤrde. Wir
ſprachen darauf uͤber die beyden Foscari, wobey ich die
Bemerkung machte, daß Byron ganz vortreffliche Frauen
zeichne.

„Seine Frauen, ſagte Goethe, ſind gut. Es iſt
aber auch das einzige Gefaͤß, was uns Neueren noch
geblieben iſt, um unſere Idealitaͤt hinein zu gießen.
Mit den Maͤnnern iſt nichts zu thun. Im Achill und
Odyſſeus, dem Tapferſten und Kluͤgſten, hat der Homer
alles vorweggenommen.“

Übrigens, fuhr ich fort, haben die Foscari wegen
der durchgehenden Folter-Qualen etwas Apprehenſives,
und man begreift kaum, wie Byron im Innern dieſes

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[363/0383] aus ſeinen leichten Verſen heraus mit Augen zu ſehen waͤhnt. Und dabey macht er ſich keineswegs viele Scru¬ pel, ob ein Gegenſtand poetiſch ſey oder nicht, ſondern er ergreift und gebraucht alles, wie es ihm vorkommt bis auf die gekraͤuſelten Peruͤcken vor den Fenſtern der Haarſchneider und bis auf die Maͤnner, welche die Straßenlaternen mit Oel verſehen. „Unſere deutſchen Äſthetiker, ſagte Goethe, reden zwar viel von poetiſchen und unpoetiſchen Gegenſtaͤnden, und ſie moͤgen auch in gewiſſer Hinſicht nicht ganz Unrecht haben; allein im Grunde bleibt kein realer Gegenſtand unpoetiſch, ſobald der Dichter ihn gehoͤrig zu gebrauchen weiß.“ Sehr wahr! ſagte ich, und ich moͤchte wohl, daß dieſe Anſicht zur allgemeinen Maxime wuͤrde. Wir ſprachen darauf uͤber die beyden Foscari, wobey ich die Bemerkung machte, daß Byron ganz vortreffliche Frauen zeichne. „Seine Frauen, ſagte Goethe, ſind gut. Es iſt aber auch das einzige Gefaͤß, was uns Neueren noch geblieben iſt, um unſere Idealitaͤt hinein zu gießen. Mit den Maͤnnern iſt nichts zu thun. Im Achill und Odyſſeus, dem Tapferſten und Kluͤgſten, hat der Homer alles vorweggenommen.“ Übrigens, fuhr ich fort, haben die Foscari wegen der durchgehenden Folter-Qualen etwas Apprehenſives, und man begreift kaum, wie Byron im Innern dieſes

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/383>, abgerufen am 25.11.2024.