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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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sich Vorwürfe, daß er nicht mitgegangen; die Mutter
ist ruhig.

Endlich hört man die Töne der Flöte wieder; man
hört sie näher und näher, das Kind tritt durch die
Maueröffnung wieder in den Schloßhof herein, der Löwe
folgsam mit schwerem Gange geht hinter ihm her. Sie
ziehen einmal im Hofe herum, dann setzt sich das Kind
in eine sonnige Stelle, der Löwe läßt sich friedlich bey
ihm nieder und legt die eine seiner schweren Tatzen dem
Kinde auf den Schooß. Ein Dorn hat sich hineinge¬
treten, der Knabe zieht ihn heraus und nimmt sein
seidenes Tüchlein vom Halse und verbindet damit die
Tatze.

Mutter und Wärtel, welche der ganzen Scene von
oben aus dem Rittersaale zusehen, sind aufs höchste
beglückt. Der Löwe ist in Sicherheit und gezähmt,
und wie das Kind, abwechselnd mit seinen Tönen der
Flöte, zur Beschwichtigung des Unthieres hin und wieder
liebliche fromme Lieder hat hören lassen, so beschließt
auch das Kind singend mit folgenden Versen die No¬
velle:

Und so geht mit guten Kindern
Sel'ger Engel gern zu Rath,
Böses Wollen zu verhindern,
Zu befördern schöne That.
So beschwören, fest zu bannen
Liebem Sohn ans zarte Knie
Ihn des Waldes Hochtyrannen
Frommer Sinn und Melodie.

ſich Vorwuͤrfe, daß er nicht mitgegangen; die Mutter
iſt ruhig.

Endlich hoͤrt man die Toͤne der Floͤte wieder; man
hoͤrt ſie naͤher und naͤher, das Kind tritt durch die
Maueroͤffnung wieder in den Schloßhof herein, der Loͤwe
folgſam mit ſchwerem Gange geht hinter ihm her. Sie
ziehen einmal im Hofe herum, dann ſetzt ſich das Kind
in eine ſonnige Stelle, der Loͤwe laͤßt ſich friedlich bey
ihm nieder und legt die eine ſeiner ſchweren Tatzen dem
Kinde auf den Schooß. Ein Dorn hat ſich hineinge¬
treten, der Knabe zieht ihn heraus und nimmt ſein
ſeidenes Tuͤchlein vom Halſe und verbindet damit die
Tatze.

Mutter und Waͤrtel, welche der ganzen Scene von
oben aus dem Ritterſaale zuſehen, ſind aufs hoͤchſte
begluͤckt. Der Loͤwe iſt in Sicherheit und gezaͤhmt,
und wie das Kind, abwechſelnd mit ſeinen Toͤnen der
Floͤte, zur Beſchwichtigung des Unthieres hin und wieder
liebliche fromme Lieder hat hoͤren laſſen, ſo beſchließt
auch das Kind ſingend mit folgenden Verſen die No¬
velle:

Und ſo geht mit guten Kindern
Sel'ger Engel gern zu Rath,
Boͤſes Wollen zu verhindern,
Zu befoͤrdern ſchoͤne That.
So beſchwoͤren, feſt zu bannen
Liebem Sohn ans zarte Knie
Ihn des Waldes Hochtyrannen
Frommer Sinn und Melodie.
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[300/0320] ſich Vorwuͤrfe, daß er nicht mitgegangen; die Mutter iſt ruhig. Endlich hoͤrt man die Toͤne der Floͤte wieder; man hoͤrt ſie naͤher und naͤher, das Kind tritt durch die Maueroͤffnung wieder in den Schloßhof herein, der Loͤwe folgſam mit ſchwerem Gange geht hinter ihm her. Sie ziehen einmal im Hofe herum, dann ſetzt ſich das Kind in eine ſonnige Stelle, der Loͤwe laͤßt ſich friedlich bey ihm nieder und legt die eine ſeiner ſchweren Tatzen dem Kinde auf den Schooß. Ein Dorn hat ſich hineinge¬ treten, der Knabe zieht ihn heraus und nimmt ſein ſeidenes Tuͤchlein vom Halſe und verbindet damit die Tatze. Mutter und Waͤrtel, welche der ganzen Scene von oben aus dem Ritterſaale zuſehen, ſind aufs hoͤchſte begluͤckt. Der Loͤwe iſt in Sicherheit und gezaͤhmt, und wie das Kind, abwechſelnd mit ſeinen Toͤnen der Floͤte, zur Beſchwichtigung des Unthieres hin und wieder liebliche fromme Lieder hat hoͤren laſſen, ſo beſchließt auch das Kind ſingend mit folgenden Verſen die No¬ velle: Und ſo geht mit guten Kindern Sel'ger Engel gern zu Rath, Boͤſes Wollen zu verhindern, Zu befoͤrdern ſchoͤne That. So beſchwoͤren, feſt zu bannen Liebem Sohn ans zarte Knie Ihn des Waldes Hochtyrannen Frommer Sinn und Melodie.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/320>, abgerufen am 25.11.2024.