Es ist Schade darum, sagte ich, denn trotz aller Rohheiten sind sie mir doch tausendmal lieber, als die schwachen, weichen, forcirten und unnatürlichen Stücke einiger unserer neuesten Tragiker. Bey Schiller spricht doch immer ein grandioser Geist und Character.
"Das wollte ich meinen, sagte Goethe. Schiller mochte sich stellen, wie er wollte, er konnte gar nichts machen, was nicht immer bey weitem größer herauskam als das Beste dieser Neueren; ja wenn Schiller sich die Nägel beschnitt, war er größer als diese Herren."
Wir lachten und freuten uns des gewaltigen Gleich¬ nisses.
"Aber ich habe doch Personen gekannt, fuhr Goethe fort, die sich über die ersten Stücke Schillers gar nicht zufrieden geben konnten. Eines Sommers in einem Bade, ging ich durch einen eingeschlossenen sehr schma¬ len Weg der zu einer Mühle führte. Es begegnete mir der Fürst *** und da in demselben Augenblick einige mit Mehlsäcken beladene Maulthiere auf uns zukamen, so mußten wir ausweichen und in ein kleines Haus treten. Hier, in einem engen Stübchen, geriethen wir nach Art dieses Fürsten sogleich in tiefe Gespräche über göttliche und menschliche Dinge; wir kamen auch auf Schillers Räuber und der Fürst äußerte sich folgender¬ maßen: "Wäre ich Gott gewesen, sagte er, im Begriff die Welt zu erschaffen, und ich hätte in dem Augenblick vorausgesehen, daß Schillers Räuber darin würden ge¬
Es iſt Schade darum, ſagte ich, denn trotz aller Rohheiten ſind ſie mir doch tauſendmal lieber, als die ſchwachen, weichen, forcirten und unnatuͤrlichen Stuͤcke einiger unſerer neueſten Tragiker. Bey Schiller ſpricht doch immer ein grandioſer Geiſt und Character.
„Das wollte ich meinen, ſagte Goethe. Schiller mochte ſich ſtellen, wie er wollte, er konnte gar nichts machen, was nicht immer bey weitem groͤßer herauskam als das Beſte dieſer Neueren; ja wenn Schiller ſich die Naͤgel beſchnitt, war er groͤßer als dieſe Herren.“
Wir lachten und freuten uns des gewaltigen Gleich¬ niſſes.
„Aber ich habe doch Perſonen gekannt, fuhr Goethe fort, die ſich uͤber die erſten Stuͤcke Schillers gar nicht zufrieden geben konnten. Eines Sommers in einem Bade, ging ich durch einen eingeſchloſſenen ſehr ſchma¬ len Weg der zu einer Muͤhle fuͤhrte. Es begegnete mir der Fuͤrſt *** und da in demſelben Augenblick einige mit Mehlſaͤcken beladene Maulthiere auf uns zukamen, ſo mußten wir ausweichen und in ein kleines Haus treten. Hier, in einem engen Stuͤbchen, geriethen wir nach Art dieſes Fuͤrſten ſogleich in tiefe Geſpraͤche uͤber goͤttliche und menſchliche Dinge; wir kamen auch auf Schillers Raͤuber und der Fuͤrſt aͤußerte ſich folgender¬ maßen: „Waͤre ich Gott geweſen, ſagte er, im Begriff die Welt zu erſchaffen, und ich haͤtte in dem Augenblick vorausgeſehen, daß Schillers Raͤuber darin wuͤrden ge¬
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Es iſt Schade darum, ſagte ich, denn trotz aller
Rohheiten ſind ſie mir doch tauſendmal lieber, als die
ſchwachen, weichen, forcirten und unnatuͤrlichen Stuͤcke
einiger unſerer neueſten Tragiker. Bey Schiller ſpricht
doch immer ein grandioſer Geiſt und Character.
„Das wollte ich meinen, ſagte Goethe. Schiller
mochte ſich ſtellen, wie er wollte, er konnte gar nichts
machen, was nicht immer bey weitem groͤßer herauskam
als das Beſte dieſer Neueren; ja wenn Schiller ſich
die Naͤgel beſchnitt, war er groͤßer als dieſe Herren.“
Wir lachten und freuten uns des gewaltigen Gleich¬
niſſes.
„Aber ich habe doch Perſonen gekannt, fuhr Goethe
fort, die ſich uͤber die erſten Stuͤcke Schillers gar nicht
zufrieden geben konnten. Eines Sommers in einem
Bade, ging ich durch einen eingeſchloſſenen ſehr ſchma¬
len Weg der zu einer Muͤhle fuͤhrte. Es begegnete mir
der Fuͤrſt *** und da in demſelben Augenblick einige
mit Mehlſaͤcken beladene Maulthiere auf uns zukamen,
ſo mußten wir ausweichen und in ein kleines Haus
treten. Hier, in einem engen Stuͤbchen, geriethen wir
nach Art dieſes Fuͤrſten ſogleich in tiefe Geſpraͤche uͤber
goͤttliche und menſchliche Dinge; wir kamen auch auf
Schillers Raͤuber und der Fuͤrſt aͤußerte ſich folgender¬
maßen: „Waͤre ich Gott geweſen, ſagte er, im Begriff
die Welt zu erſchaffen, und ich haͤtte in dem Augenblick
vorausgeſehen, daß Schillers Raͤuber darin wuͤrden ge¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/316>, abgerufen am 26.11.2024.
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