es halb sieben schlug und er noch nicht da war. Ja ich hätte mich sogar gefreut, wenn er nicht gekommen wäre; ich hätte doch sagen können: da ist ein ganz ver¬ rückter Mensch, dem das Theater über seine liebsten Freunde geht und der sich durch nichts von seiner hart¬ näckigen Neigung abwenden läßt. Aber ich habe Sie auch entschädigt! Nicht wahr? Habe ich Ihnen nicht schöne Sachen vorgelegt?" Goethe zielte mit diesen Worten auf die neue Novelle.
Wir sprachen sodann über Schillers Fiesko, der am letzten Sonnabend war gegeben worden. Ich habe das Stück zum ersten Male gesehen, sagte ich, und es hat mich nun sehr beschäftigt ob man nicht die ganz rohen Scenen mildern könnte; allein ich finde, daß sich wenig daran thun läßt, ohne den Character des Ganzen zu verletzen.
"Sie haben ganz Recht, es geht nicht, erwiederte Goethe, Schiller hat sehr oft mit mir darüber gespro¬ chen, denn er selbst konnte seine ersten Stücke nicht leiden und er ließ sie, während wir am Theater waren, nie spielen. Nun fehlte es uns aber an Stücken, und wir hätten gerne jene drey gewaltsamen Erstlinge dem Repertoir gewonnen. Es wollte aber nicht gehen, es war alles zu sehr mit einander verwachsen, so daß Schiller selbst an dem Unternehmen verzweifelte und sich genöthigt sah, seinen Vorsatz aufzugeben und die Stücke zu lassen wie sie waren."
es halb ſieben ſchlug und er noch nicht da war. Ja ich haͤtte mich ſogar gefreut, wenn er nicht gekommen waͤre; ich haͤtte doch ſagen koͤnnen: da iſt ein ganz ver¬ ruͤckter Menſch, dem das Theater uͤber ſeine liebſten Freunde geht und der ſich durch nichts von ſeiner hart¬ naͤckigen Neigung abwenden laͤßt. Aber ich habe Sie auch entſchaͤdigt! Nicht wahr? Habe ich Ihnen nicht ſchoͤne Sachen vorgelegt?“ Goethe zielte mit dieſen Worten auf die neue Novelle.
Wir ſprachen ſodann uͤber Schillers Fiesko, der am letzten Sonnabend war gegeben worden. Ich habe das Stuͤck zum erſten Male geſehen, ſagte ich, und es hat mich nun ſehr beſchaͤftigt ob man nicht die ganz rohen Scenen mildern koͤnnte; allein ich finde, daß ſich wenig daran thun laͤßt, ohne den Character des Ganzen zu verletzen.
„Sie haben ganz Recht, es geht nicht, erwiederte Goethe, Schiller hat ſehr oft mit mir daruͤber geſpro¬ chen, denn er ſelbſt konnte ſeine erſten Stuͤcke nicht leiden und er ließ ſie, waͤhrend wir am Theater waren, nie ſpielen. Nun fehlte es uns aber an Stuͤcken, und wir haͤtten gerne jene drey gewaltſamen Erſtlinge dem Repertoir gewonnen. Es wollte aber nicht gehen, es war alles zu ſehr mit einander verwachſen, ſo daß Schiller ſelbſt an dem Unternehmen verzweifelte und ſich genoͤthigt ſah, ſeinen Vorſatz aufzugeben und die Stuͤcke zu laſſen wie ſie waren.“
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es halb ſieben ſchlug und er noch nicht da war. Ja
ich haͤtte mich ſogar gefreut, wenn er nicht gekommen
waͤre; ich haͤtte doch ſagen koͤnnen: da iſt ein ganz ver¬
ruͤckter Menſch, dem das Theater uͤber ſeine liebſten
Freunde geht und der ſich durch nichts von ſeiner hart¬
naͤckigen Neigung abwenden laͤßt. Aber ich habe Sie
auch entſchaͤdigt! Nicht wahr? Habe ich Ihnen nicht
ſchoͤne Sachen vorgelegt?“ Goethe zielte mit dieſen
Worten auf die neue Novelle.
Wir ſprachen ſodann uͤber Schillers Fiesko, der am
letzten Sonnabend war gegeben worden. Ich habe das
Stuͤck zum erſten Male geſehen, ſagte ich, und es hat
mich nun ſehr beſchaͤftigt ob man nicht die ganz rohen
Scenen mildern koͤnnte; allein ich finde, daß ſich wenig
daran thun laͤßt, ohne den Character des Ganzen zu
verletzen.
„Sie haben ganz Recht, es geht nicht, erwiederte
Goethe, Schiller hat ſehr oft mit mir daruͤber geſpro¬
chen, denn er ſelbſt konnte ſeine erſten Stuͤcke nicht
leiden und er ließ ſie, waͤhrend wir am Theater waren,
nie ſpielen. Nun fehlte es uns aber an Stuͤcken, und
wir haͤtten gerne jene drey gewaltſamen Erſtlinge dem
Repertoir gewonnen. Es wollte aber nicht gehen, es
war alles zu ſehr mit einander verwachſen, ſo daß
Schiller ſelbſt an dem Unternehmen verzweifelte und ſich
genoͤthigt ſah, ſeinen Vorſatz aufzugeben und die Stuͤcke
zu laſſen wie ſie waren.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/315>, abgerufen am 26.11.2024.
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