etwas zu bedeuten hätten. So ist die Masse, und ein¬ zelne Hervorragende sind nicht viel besser."
"*** hätte bey seinem großen Talent, bey seiner weltumfassenden Gelehrsamkeit der Nation viel seyn können. Aber so hat seine Characterlosigkeit die Nation um außerordentliche Wirkungen und ihn selbst um die Achtung der Nation gebracht."
"Ein Mann wie Lessing thäte uns noth. Denn wodurch ist dieser so groß als durch seinen Character, durch sein Festhalten! -- So kluge, so gebildete Men¬ schen giebt es viele, aber wo ist ein solcher Character! --"
"Viele sind geistreich genug und voller Kenntnisse, allein sie sind zugleich voller Eitelkeit, und um sich von der kurzsichtigen Masse als witzige Köpfe bewundern zu lassen, haben sie keine Scham und Scheu und ist ihnen nichts heilig."
"Die Frau von Genlis hat daher vollkommen Recht, wenn sie sich gegen die Freyheiten und Frechheiten von Voltaire auflegte. Denn im Grunde, so geistreich alles seyn mag, ist der Welt doch nichts damit gedient; es läßt sich nichts darauf gründen. Ja es kann sogar von der größten Schädlichkeit seyn, indem es die Men¬ schen verwirrt und ihnen den nöthigen Halt nimmt."
"Und dann! was wissen wir denn, und wie weit reichen wir denn mit all unserm Witze!"
"Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem
etwas zu bedeuten haͤtten. So iſt die Maſſe, und ein¬ zelne Hervorragende ſind nicht viel beſſer.“
„*** haͤtte bey ſeinem großen Talent, bey ſeiner weltumfaſſenden Gelehrſamkeit der Nation viel ſeyn koͤnnen. Aber ſo hat ſeine Characterloſigkeit die Nation um außerordentliche Wirkungen und ihn ſelbſt um die Achtung der Nation gebracht.“
„Ein Mann wie Leſſing thaͤte uns noth. Denn wodurch iſt dieſer ſo groß als durch ſeinen Character, durch ſein Feſthalten! — So kluge, ſo gebildete Men¬ ſchen giebt es viele, aber wo iſt ein ſolcher Character! —“
„Viele ſind geiſtreich genug und voller Kenntniſſe, allein ſie ſind zugleich voller Eitelkeit, und um ſich von der kurzſichtigen Maſſe als witzige Koͤpfe bewundern zu laſſen, haben ſie keine Scham und Scheu und iſt ihnen nichts heilig.“
„Die Frau von Genlis hat daher vollkommen Recht, wenn ſie ſich gegen die Freyheiten und Frechheiten von Voltaire auflegte. Denn im Grunde, ſo geiſtreich alles ſeyn mag, iſt der Welt doch nichts damit gedient; es laͤßt ſich nichts darauf gruͤnden. Ja es kann ſogar von der groͤßten Schaͤdlichkeit ſeyn, indem es die Men¬ ſchen verwirrt und ihnen den noͤthigen Halt nimmt.“
„Und dann! was wiſſen wir denn, und wie weit reichen wir denn mit all unſerm Witze!“
„Der Menſch iſt nicht geboren, die Probleme der Welt zu loͤſen, wohl aber zu ſuchen, wo das Problem
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etwas zu bedeuten haͤtten. So iſt die Maſſe, und ein¬
zelne Hervorragende ſind nicht viel beſſer.“
„*** haͤtte bey ſeinem großen Talent, bey ſeiner
weltumfaſſenden Gelehrſamkeit der Nation viel ſeyn
koͤnnen. Aber ſo hat ſeine Characterloſigkeit die Nation
um außerordentliche Wirkungen und ihn ſelbſt um die
Achtung der Nation gebracht.“
„Ein Mann wie Leſſing thaͤte uns noth. Denn
wodurch iſt dieſer ſo groß als durch ſeinen Character,
durch ſein Feſthalten! — So kluge, ſo gebildete Men¬
ſchen giebt es viele, aber wo iſt ein ſolcher Character! —“
„Viele ſind geiſtreich genug und voller Kenntniſſe,
allein ſie ſind zugleich voller Eitelkeit, und um ſich von
der kurzſichtigen Maſſe als witzige Koͤpfe bewundern zu
laſſen, haben ſie keine Scham und Scheu und iſt ihnen
nichts heilig.“
„Die Frau von Genlis hat daher vollkommen Recht,
wenn ſie ſich gegen die Freyheiten und Frechheiten von
Voltaire auflegte. Denn im Grunde, ſo geiſtreich alles
ſeyn mag, iſt der Welt doch nichts damit gedient; es
laͤßt ſich nichts darauf gruͤnden. Ja es kann ſogar
von der groͤßten Schaͤdlichkeit ſeyn, indem es die Men¬
ſchen verwirrt und ihnen den noͤthigen Halt nimmt.“
„Und dann! was wiſſen wir denn, und wie weit
reichen wir denn mit all unſerm Witze!“
„Der Menſch iſt nicht geboren, die Probleme der
Welt zu loͤſen, wohl aber zu ſuchen, wo das Problem
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/246>, abgerufen am 16.02.2025.
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