geschlagen. Diese Tapfern lebten daher bis jetzt immer in mir als große Retter der deutschen Nation. Nun aber kommt die historische Critik und sagt, daß jene Helden sich ganz unnütz aufgeopfert hätten, indem das asiatische Heer bereits zurückgerufen gewesen und von selbst zurückgegangen seyn würde. Dadurch ist nun ein großes vaterländisches Factum gelähmt und zernichtet, und es wird einem ganz abscheulich zu Muthe."
Nach diesen Äußerungen über historische Critiker sprach Goethe über Forscher und Literatoren anderer Art.
"Ich hätte die Erbärmlichkeit der Menschen und wie wenig es ihnen um wahrhaft große Zwecke zu thun ist, nie so kennen gelernt, sagte er, wenn ich mich nicht durch meine naturwissenschaftlichen Bestrebungen an ihnen versucht hätte. Da aber sah ich, daß den Meisten die Wissenschaft nur etwas ist, insofern sie davon leben, und daß sie sogar den Irrthum vergöttern, wenn sie davon ihre Existenz haben."
"Und in der schönen Literatur ist es nicht besser. Auch dort sind große Zwecke und echter Sinn für das Wahre und Tüchtige und dessen Verbreitung sehr seltene Er¬ scheinungen. Einer hegt und trägt den Andern, weil er von ihm wieder gehegt und getragen wird, und das wahrhaft Große ist ihnen widerwärtig und sie möchten es gerne aus der Welt schaffen, damit sie selber nur
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geſchlagen. Dieſe Tapfern lebten daher bis jetzt immer in mir als große Retter der deutſchen Nation. Nun aber kommt die hiſtoriſche Critik und ſagt, daß jene Helden ſich ganz unnuͤtz aufgeopfert haͤtten, indem das aſiatiſche Heer bereits zuruͤckgerufen geweſen und von ſelbſt zuruͤckgegangen ſeyn wuͤrde. Dadurch iſt nun ein großes vaterlaͤndiſches Factum gelaͤhmt und zernichtet, und es wird einem ganz abſcheulich zu Muthe.“
Nach dieſen Äußerungen uͤber hiſtoriſche Critiker ſprach Goethe uͤber Forſcher und Literatoren anderer Art.
„Ich haͤtte die Erbaͤrmlichkeit der Menſchen und wie wenig es ihnen um wahrhaft große Zwecke zu thun iſt, nie ſo kennen gelernt, ſagte er, wenn ich mich nicht durch meine naturwiſſenſchaftlichen Beſtrebungen an ihnen verſucht haͤtte. Da aber ſah ich, daß den Meiſten die Wiſſenſchaft nur etwas iſt, inſofern ſie davon leben, und daß ſie ſogar den Irrthum vergoͤttern, wenn ſie davon ihre Exiſtenz haben.“
„Und in der ſchoͤnen Literatur iſt es nicht beſſer. Auch dort ſind große Zwecke und echter Sinn fuͤr das Wahre und Tuͤchtige und deſſen Verbreitung ſehr ſeltene Er¬ ſcheinungen. Einer hegt und traͤgt den Andern, weil er von ihm wieder gehegt und getragen wird, und das wahrhaft Große iſt ihnen widerwaͤrtig und ſie moͤchten es gerne aus der Welt ſchaffen, damit ſie ſelber nur
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geſchlagen. Dieſe Tapfern lebten daher bis jetzt immer
in mir als große Retter der deutſchen Nation. Nun
aber kommt die hiſtoriſche Critik und ſagt, daß jene
Helden ſich ganz unnuͤtz aufgeopfert haͤtten, indem das
aſiatiſche Heer bereits zuruͤckgerufen geweſen und von
ſelbſt zuruͤckgegangen ſeyn wuͤrde. Dadurch iſt nun ein
großes vaterlaͤndiſches Factum gelaͤhmt und zernichtet,
und es wird einem ganz abſcheulich zu Muthe.“
Nach dieſen Äußerungen uͤber hiſtoriſche Critiker
ſprach Goethe uͤber Forſcher und Literatoren anderer
Art.
„Ich haͤtte die Erbaͤrmlichkeit der Menſchen und
wie wenig es ihnen um wahrhaft große Zwecke zu thun
iſt, nie ſo kennen gelernt, ſagte er, wenn ich mich
nicht durch meine naturwiſſenſchaftlichen Beſtrebungen
an ihnen verſucht haͤtte. Da aber ſah ich, daß den
Meiſten die Wiſſenſchaft nur etwas iſt, inſofern ſie
davon leben, und daß ſie ſogar den Irrthum vergoͤttern,
wenn ſie davon ihre Exiſtenz haben.“
„Und in der ſchoͤnen Literatur iſt es nicht beſſer. Auch
dort ſind große Zwecke und echter Sinn fuͤr das Wahre
und Tuͤchtige und deſſen Verbreitung ſehr ſeltene Er¬
ſcheinungen. Einer hegt und traͤgt den Andern, weil
er von ihm wieder gehegt und getragen wird, und das
wahrhaft Große iſt ihnen widerwaͤrtig und ſie moͤchten
es gerne aus der Welt ſchaffen, damit ſie ſelber nur
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/245>, abgerufen am 22.11.2024.
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