Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters sich dem
Leser mittheilt, sondern auch alles opponirende Wirken
geht auf das Negative hinaus, und das Negative ist
nichts. Wenn ich das Schlechte schlecht nenne, was ist
da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute schlecht,
so ist viel geschadet. Wer recht wirken will, muß nie
schelten, sich um das Verkehrte gar nicht bekümmern,
sondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt
nicht darauf an, daß eingerissen, sondern daß etwas
aufgebaut werde, woran die Menschheit reine Freude
empfinde."

Ich erquickte mich an diesen herrlichen Worten und
freute mich der köstlichen Maxime.

"Lord Byron, fuhr Goethe fort, ist zu betrachten:
als Mensch, als Engländer und als großes Talent. Seine
guten Eigenschaften sind vorzüglich vom Menschen herzu¬
leiten; seine schlimmen, daß er ein Engländer und ein Pär
von England war; und sein Talent ist incommensurabel."

"Alle Engländer sind als solche ohne eigentliche Re¬
flexion; die Zerstreuung und der Parteygeist lassen sie
zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber sie sind
groß als praktische Menschen."

"So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken über
sich selbst gelangen; deßwegen auch seine Reflexionen
überhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie sein Sym¬
bolum: viel Geld und keine Obrigkeit! beweiset,
weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralysirt."

nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters ſich dem
Leſer mittheilt, ſondern auch alles opponirende Wirken
geht auf das Negative hinaus, und das Negative iſt
nichts. Wenn ich das Schlechte ſchlecht nenne, was iſt
da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute ſchlecht,
ſo iſt viel geſchadet. Wer recht wirken will, muß nie
ſchelten, ſich um das Verkehrte gar nicht bekuͤmmern,
ſondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt
nicht darauf an, daß eingeriſſen, ſondern daß etwas
aufgebaut werde, woran die Menſchheit reine Freude
empfinde.“

Ich erquickte mich an dieſen herrlichen Worten und
freute mich der koͤſtlichen Maxime.

„Lord Byron, fuhr Goethe fort, iſt zu betrachten:
als Menſch, als Englaͤnder und als großes Talent. Seine
guten Eigenſchaften ſind vorzuͤglich vom Menſchen herzu¬
leiten; ſeine ſchlimmen, daß er ein Englaͤnder und ein Paͤr
von England war; und ſein Talent iſt incommenſurabel.“

„Alle Englaͤnder ſind als ſolche ohne eigentliche Re¬
flexion; die Zerſtreuung und der Parteygeiſt laſſen ſie
zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber ſie ſind
groß als praktiſche Menſchen.“

„So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken uͤber
ſich ſelbſt gelangen; deßwegen auch ſeine Reflexionen
uͤberhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie ſein Sym¬
bolum: viel Geld und keine Obrigkeit! beweiſet,
weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralyſirt.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="204"/>
nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters &#x017F;ich dem<lb/>
Le&#x017F;er mittheilt, &#x017F;ondern auch alles opponirende Wirken<lb/>
geht auf das Negative hinaus, und das Negative i&#x017F;t<lb/>
nichts. Wenn ich das Schlechte &#x017F;chlecht nenne, was i&#x017F;t<lb/>
da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute &#x017F;chlecht,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t viel ge&#x017F;chadet. Wer recht wirken will, muß nie<lb/>
&#x017F;chelten, &#x017F;ich um das Verkehrte gar nicht beku&#x0364;mmern,<lb/>
&#x017F;ondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt<lb/>
nicht darauf an, daß eingeri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern daß etwas<lb/>
aufgebaut werde, woran die Men&#x017F;chheit reine Freude<lb/>
empfinde.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich erquickte mich an die&#x017F;en herrlichen Worten und<lb/>
freute mich der ko&#x0364;&#x017F;tlichen Maxime.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Lord Byron, fuhr Goethe fort, i&#x017F;t zu betrachten:<lb/>
als Men&#x017F;ch, als Engla&#x0364;nder und als großes Talent. Seine<lb/>
guten Eigen&#x017F;chaften &#x017F;ind vorzu&#x0364;glich vom Men&#x017F;chen herzu¬<lb/>
leiten; &#x017F;eine &#x017F;chlimmen, daß er ein Engla&#x0364;nder und ein Pa&#x0364;r<lb/>
von England war; und &#x017F;ein Talent i&#x017F;t incommen&#x017F;urabel.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Alle Engla&#x0364;nder &#x017F;ind als &#x017F;olche ohne eigentliche Re¬<lb/>
flexion; die Zer&#x017F;treuung und der Parteygei&#x017F;t la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
groß als prakti&#x017F;che Men&#x017F;chen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gelangen; deßwegen auch &#x017F;eine Reflexionen<lb/>
u&#x0364;berhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie &#x017F;ein Sym¬<lb/>
bolum: <hi rendition="#g">viel Geld und keine Obrigkeit</hi>! bewei&#x017F;et,<lb/>
weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paraly&#x017F;irt.&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0224] nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters ſich dem Leſer mittheilt, ſondern auch alles opponirende Wirken geht auf das Negative hinaus, und das Negative iſt nichts. Wenn ich das Schlechte ſchlecht nenne, was iſt da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute ſchlecht, ſo iſt viel geſchadet. Wer recht wirken will, muß nie ſchelten, ſich um das Verkehrte gar nicht bekuͤmmern, ſondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt nicht darauf an, daß eingeriſſen, ſondern daß etwas aufgebaut werde, woran die Menſchheit reine Freude empfinde.“ Ich erquickte mich an dieſen herrlichen Worten und freute mich der koͤſtlichen Maxime. „Lord Byron, fuhr Goethe fort, iſt zu betrachten: als Menſch, als Englaͤnder und als großes Talent. Seine guten Eigenſchaften ſind vorzuͤglich vom Menſchen herzu¬ leiten; ſeine ſchlimmen, daß er ein Englaͤnder und ein Paͤr von England war; und ſein Talent iſt incommenſurabel.“ „Alle Englaͤnder ſind als ſolche ohne eigentliche Re¬ flexion; die Zerſtreuung und der Parteygeiſt laſſen ſie zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber ſie ſind groß als praktiſche Menſchen.“ „So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken uͤber ſich ſelbſt gelangen; deßwegen auch ſeine Reflexionen uͤberhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie ſein Sym¬ bolum: viel Geld und keine Obrigkeit! beweiſet, weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralyſirt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/224
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/224>, abgerufen am 17.05.2024.