nicht zu scheuen, das Beste zu sagen. So aber muß er sich immer in einem gewissen Niveau halten; er hat zu bedenken, daß seine Werke in die Hände einer ge¬ mischten Welt kommen und er hat daher Ursache sich in Acht zu nehmen, daß er der Mehrzahl guter Men¬ schen durch eine zu große Offenheit kein Ärgerniß gebe. Und dann ist die Zeit ein wunderlich Ding. Sie ist ein Tyrann, der seine Launen hat, und der zu dem, was einer sagt und thut, in jedem Jahrhundert ein ander Gesicht macht. Was den alten Griechen zu sagen erlaubt war, will uns zu sagen nicht mehr anstehen, und was Shakspear's kräftigen Mitmenschen durchaus anmuthete, kann der Engländer von 1820 nicht mehr ertragen, so daß in der neuesten Zeit ein Family-Shak¬ speare ein gefühltes Bedürfniß wird."
Auch liegt sehr vieles in der Form, fügte ich hinzu. Das eine jener beyden Gedichte, in dem Ton und Versmaß der Alten, hat weit weniger Zurückstoßendes. Einzelne Motive sind allerdings an sich widerwärtig, allein die Behandlung wirft über das Ganze so viel Großheit und Würde, daß es uns wird, als hörten wir einen kräftigen Alten und als wären wir in die Zeit griechischer Heroen zurückversetzt. Das andere Ge¬ dicht dagegen, in dem Ton und der Versart von Meister Ariost[,] ist[...] weit verfänglicher. Es behandelt ein Aben¬ teuer von heute, in der Sprache von heute, und, indem es dadurch ohne alle Umhüllung ganz in unsere Gegen¬
nicht zu ſcheuen, das Beſte zu ſagen. So aber muß er ſich immer in einem gewiſſen Niveau halten; er hat zu bedenken, daß ſeine Werke in die Haͤnde einer ge¬ miſchten Welt kommen und er hat daher Urſache ſich in Acht zu nehmen, daß er der Mehrzahl guter Men¬ ſchen durch eine zu große Offenheit kein Ärgerniß gebe. Und dann iſt die Zeit ein wunderlich Ding. Sie iſt ein Tyrann, der ſeine Launen hat, und der zu dem, was einer ſagt und thut, in jedem Jahrhundert ein ander Geſicht macht. Was den alten Griechen zu ſagen erlaubt war, will uns zu ſagen nicht mehr anſtehen, und was Shakſpear's kraͤftigen Mitmenſchen durchaus anmuthete, kann der Englaͤnder von 1820 nicht mehr ertragen, ſo daß in der neueſten Zeit ein Family-Shak¬ speare ein gefuͤhltes Beduͤrfniß wird.“
Auch liegt ſehr vieles in der Form, fuͤgte ich hinzu. Das eine jener beyden Gedichte, in dem Ton und Versmaß der Alten, hat weit weniger Zuruͤckſtoßendes. Einzelne Motive ſind allerdings an ſich widerwaͤrtig, allein die Behandlung wirft uͤber das Ganze ſo viel Großheit und Wuͤrde, daß es uns wird, als hoͤrten wir einen kraͤftigen Alten und als waͤren wir in die Zeit griechiſcher Heroen zuruͤckverſetzt. Das andere Ge¬ dicht dagegen, in dem Ton und der Versart von Meiſter Arioſt[,] iſt[…] weit verfaͤnglicher. Es behandelt ein Aben¬ teuer von heute, in der Sprache von heute, und, indem es dadurch ohne alle Umhuͤllung ganz in unſere Gegen¬
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nicht zu ſcheuen, das Beſte zu ſagen. So aber muß
er ſich immer in einem gewiſſen Niveau halten; er hat
zu bedenken, daß ſeine Werke in die Haͤnde einer ge¬
miſchten Welt kommen und er hat daher Urſache ſich
in Acht zu nehmen, daß er der Mehrzahl guter Men¬
ſchen durch eine zu große Offenheit kein Ärgerniß gebe.
Und dann iſt die Zeit ein wunderlich Ding. Sie iſt
ein Tyrann, der ſeine Launen hat, und der zu dem,
was einer ſagt und thut, in jedem Jahrhundert ein
ander Geſicht macht. Was den alten Griechen zu ſagen
erlaubt war, will uns zu ſagen nicht mehr anſtehen,
und was Shakſpear's kraͤftigen Mitmenſchen durchaus
anmuthete, kann der Englaͤnder von 1820 nicht mehr
ertragen, ſo daß in der neueſten Zeit ein Family-Shak¬
speare ein gefuͤhltes Beduͤrfniß wird.“
Auch liegt ſehr vieles in der Form, fuͤgte ich hinzu.
Das eine jener beyden Gedichte, in dem Ton und
Versmaß der Alten, hat weit weniger Zuruͤckſtoßendes.
Einzelne Motive ſind allerdings an ſich widerwaͤrtig,
allein die Behandlung wirft uͤber das Ganze ſo viel
Großheit und Wuͤrde, daß es uns wird, als hoͤrten
wir einen kraͤftigen Alten und als waͤren wir in die
Zeit griechiſcher Heroen zuruͤckverſetzt. Das andere Ge¬
dicht dagegen, in dem Ton und der Versart von Meiſter
Arioſt, iſt weit verfaͤnglicher. Es behandelt ein Aben¬
teuer von heute, in der Sprache von heute, und, indem
es dadurch ohne alle Umhuͤllung ganz in unſere Gegen¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/136>, abgerufen am 23.11.2024.
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