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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Doch zur Sache. Kaum hatte Bartja wieder die Augen
geöffnet, als mir Gyges auftrug, nach Sardes zu reiten
und einen guten Arzt mit einem bequemen Reisewagen zu
holen. Den Ritt macht mir sobald Keiner nach! Eine
Stunde vor der Stadt brach mein drittes Pferd vor Er-
müdung zusammen. Nun lief ich, was ich laufen konnte,
den Thoren zu. Die Spaziergänger und Wandrer müssen
mich alle für wahnsinnig gehalten haben. Den ersten
Reiter, der mir begegnete, einen Kaufmann aus Kelänä,
riß ich ohne Weiteres vom Pferde, schwang mich in den
Sattel und war, bevor der nächste Morgen graute, mit
dem geschicktesten sardischen Arzte und dem besten Reise-
wagen des Oroetes bei unserm Kranken, den wir, im
langsamsten Schritte fahrend, in dieses Haus brachten,
woselbst er ein hitziges Fieber bekam, alle Dummheiten,
die nur ein Menschengehirn ausdenken kann, phantasirte
und uns so grausame Angst ausstehen ließ, daß mir, wenn
ich daran denke, noch immer die hellen Schweißtropfen
von der Stirne triefen."

Hier ergriff Bartja die Hand des Freundes und
sagte, sich an Darius wendend:

"Jhm und Gyges verdanke ich mein Leben. Sie
haben mich, bis sie euch entgegengeritten, keine Minute
verlassen und mich gepflegt, wie eine Mutter ihr krankes
Kind. Auch Deiner Güte, Oroetes, bin ich verpflichtet;
doppelt, weil Dir aus derselben Unannehmlichkeiten er-
wachsen sind."

"Wie wäre das möglich?" fragte Darius.

"Jener Polykrates von Samos, -- dessen Namen in
Aegypten so oft genannt wurde, hat den berühmtesten
Arzt, den Griechenland zeugte, bei sich. Nun schreibt
Oroetes, als ich krank in seinem Hause liege, an De-

Doch zur Sache. Kaum hatte Bartja wieder die Augen
geöffnet, als mir Gyges auftrug, nach Sardes zu reiten
und einen guten Arzt mit einem bequemen Reiſewagen zu
holen. Den Ritt macht mir ſobald Keiner nach! Eine
Stunde vor der Stadt brach mein drittes Pferd vor Er-
müdung zuſammen. Nun lief ich, was ich laufen konnte,
den Thoren zu. Die Spaziergänger und Wandrer müſſen
mich alle für wahnſinnig gehalten haben. Den erſten
Reiter, der mir begegnete, einen Kaufmann aus Kelänä,
riß ich ohne Weiteres vom Pferde, ſchwang mich in den
Sattel und war, bevor der nächſte Morgen graute, mit
dem geſchickteſten ſardiſchen Arzte und dem beſten Reiſe-
wagen des Oroetes bei unſerm Kranken, den wir, im
langſamſten Schritte fahrend, in dieſes Haus brachten,
woſelbſt er ein hitziges Fieber bekam, alle Dummheiten,
die nur ein Menſchengehirn ausdenken kann, phantaſirte
und uns ſo grauſame Angſt ausſtehen ließ, daß mir, wenn
ich daran denke, noch immer die hellen Schweißtropfen
von der Stirne triefen.“

Hier ergriff Bartja die Hand des Freundes und
ſagte, ſich an Darius wendend:

„Jhm und Gyges verdanke ich mein Leben. Sie
haben mich, bis ſie euch entgegengeritten, keine Minute
verlaſſen und mich gepflegt, wie eine Mutter ihr krankes
Kind. Auch Deiner Güte, Oroetes, bin ich verpflichtet;
doppelt, weil Dir aus derſelben Unannehmlichkeiten er-
wachſen ſind.“

„Wie wäre das möglich?“ fragte Darius.

„Jener Polykrates von Samos, — deſſen Namen in
Aegypten ſo oft genannt wurde, hat den berühmteſten
Arzt, den Griechenland zeugte, bei ſich. Nun ſchreibt
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[67/0077] Doch zur Sache. Kaum hatte Bartja wieder die Augen geöffnet, als mir Gyges auftrug, nach Sardes zu reiten und einen guten Arzt mit einem bequemen Reiſewagen zu holen. Den Ritt macht mir ſobald Keiner nach! Eine Stunde vor der Stadt brach mein drittes Pferd vor Er- müdung zuſammen. Nun lief ich, was ich laufen konnte, den Thoren zu. Die Spaziergänger und Wandrer müſſen mich alle für wahnſinnig gehalten haben. Den erſten Reiter, der mir begegnete, einen Kaufmann aus Kelänä, riß ich ohne Weiteres vom Pferde, ſchwang mich in den Sattel und war, bevor der nächſte Morgen graute, mit dem geſchickteſten ſardiſchen Arzte und dem beſten Reiſe- wagen des Oroetes bei unſerm Kranken, den wir, im langſamſten Schritte fahrend, in dieſes Haus brachten, woſelbſt er ein hitziges Fieber bekam, alle Dummheiten, die nur ein Menſchengehirn ausdenken kann, phantaſirte und uns ſo grauſame Angſt ausſtehen ließ, daß mir, wenn ich daran denke, noch immer die hellen Schweißtropfen von der Stirne triefen.“ Hier ergriff Bartja die Hand des Freundes und ſagte, ſich an Darius wendend: „Jhm und Gyges verdanke ich mein Leben. Sie haben mich, bis ſie euch entgegengeritten, keine Minute verlaſſen und mich gepflegt, wie eine Mutter ihr krankes Kind. Auch Deiner Güte, Oroetes, bin ich verpflichtet; doppelt, weil Dir aus derſelben Unannehmlichkeiten er- wachſen ſind.“ „Wie wäre das möglich?“ fragte Darius. „Jener Polykrates von Samos, — deſſen Namen in Aegypten ſo oft genannt wurde, hat den berühmteſten Arzt, den Griechenland zeugte, bei ſich. Nun ſchreibt Oroetes, als ich krank in ſeinem Hauſe liege, an De-

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/77>, abgerufen am 13.05.2024.