wandte sein Roß und fragte nach der Ursache desselben. Phanes nahm schnell das Wort und sagte, die Achämeni- den hätten gejauchzt beim Gedanken an die Möglichkeit eines bevorstehenden Krieges.
"Welchen Krieges?" fragte der König, zum Ersten- Male seit langen Tagen heiter lächelnd.
"Wir redeten nur von der allgemeinen Möglichkeit," antwortete Phanes leichthin. Dann lenkte er sein Roß dicht an die Seite des Königs. Seine Stimme nahm einen gesangreichen, zum Herzen gehenden Ton an; mit innigem Ausdrucke schaute er in die Augen des Königs und sprach: "O, mein Fürst, zwar bin ich nicht als Dein Unterthan in diesem schönen Lande geboren, zwar darf ich erst seit kurzer Zeit mich rühmen, den Mächtigsten aller Herrscher zu kennen, und dennoch vermag ich mich des vielleicht frevelhaften Gedankens nicht zu erwehren, daß die Götter mein Herz von Geburt an zu inniger Freund- schaft mit Dir bestimmt haben. -- Nicht jene großen Wohlthaten, welche Du mir erwiesen, haben mich Dir so schnell und innig genähert. Deren bedarf ich nicht, denn ich zähle zu den Reicheren meines Volkes und habe keinen Sohn, keinen Erben, dem ich erworbene Schätze vermachen könnte. Einstmals nannte ich einen Knaben mein, ein schönes, liebliches Kind; -- aber das wollte ich Dir ja nicht sagen, ich ... Zürnest Du meiner Freimüthigkeit, o König?"
"Wie sollte ich!" antwortete der Herrscher, zu dem noch Niemand vor dem Athener in ähnlicher Weise geredet hatte, und der sich mächtig zu dem seltsamen Fremden hingezogen fühlte.
"Bis zum heutigen Tage war mir Dein Schmerz zu heilig, um denselben zu stören; jetzt aber ist die Zeit
wandte ſein Roß und fragte nach der Urſache deſſelben. Phanes nahm ſchnell das Wort und ſagte, die Achämeni- den hätten gejauchzt beim Gedanken an die Möglichkeit eines bevorſtehenden Krieges.
„Welchen Krieges?“ fragte der König, zum Erſten- Male ſeit langen Tagen heiter lächelnd.
„Wir redeten nur von der allgemeinen Möglichkeit,“ antwortete Phanes leichthin. Dann lenkte er ſein Roß dicht an die Seite des Königs. Seine Stimme nahm einen geſangreichen, zum Herzen gehenden Ton an; mit innigem Ausdrucke ſchaute er in die Augen des Königs und ſprach: „O, mein Fürſt, zwar bin ich nicht als Dein Unterthan in dieſem ſchönen Lande geboren, zwar darf ich erſt ſeit kurzer Zeit mich rühmen, den Mächtigſten aller Herrſcher zu kennen, und dennoch vermag ich mich des vielleicht frevelhaften Gedankens nicht zu erwehren, daß die Götter mein Herz von Geburt an zu inniger Freund- ſchaft mit Dir beſtimmt haben. — Nicht jene großen Wohlthaten, welche Du mir erwieſen, haben mich Dir ſo ſchnell und innig genähert. Deren bedarf ich nicht, denn ich zähle zu den Reicheren meines Volkes und habe keinen Sohn, keinen Erben, dem ich erworbene Schätze vermachen könnte. Einſtmals nannte ich einen Knaben mein, ein ſchönes, liebliches Kind; — aber das wollte ich Dir ja nicht ſagen, ich ... Zürneſt Du meiner Freimüthigkeit, o König?“
„Wie ſollte ich!“ antwortete der Herrſcher, zu dem noch Niemand vor dem Athener in ähnlicher Weiſe geredet hatte, und der ſich mächtig zu dem ſeltſamen Fremden hingezogen fühlte.
„Bis zum heutigen Tage war mir Dein Schmerz zu heilig, um denſelben zu ſtören; jetzt aber iſt die Zeit
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wandte ſein Roß und fragte nach der Urſache deſſelben.
Phanes nahm ſchnell das Wort und ſagte, die Achämeni-
den hätten gejauchzt beim Gedanken an die Möglichkeit eines
bevorſtehenden Krieges.
„Welchen Krieges?“ fragte der König, zum Erſten-
Male ſeit langen Tagen heiter lächelnd.
„Wir redeten nur von der allgemeinen Möglichkeit,“
antwortete Phanes leichthin. Dann lenkte er ſein Roß
dicht an die Seite des Königs. Seine Stimme nahm
einen geſangreichen, zum Herzen gehenden Ton an; mit
innigem Ausdrucke ſchaute er in die Augen des Königs
und ſprach: „O, mein Fürſt, zwar bin ich nicht als Dein
Unterthan in dieſem ſchönen Lande geboren, zwar darf ich
erſt ſeit kurzer Zeit mich rühmen, den Mächtigſten aller
Herrſcher zu kennen, und dennoch vermag ich mich des
vielleicht frevelhaften Gedankens nicht zu erwehren, daß
die Götter mein Herz von Geburt an zu inniger Freund-
ſchaft mit Dir beſtimmt haben. — Nicht jene großen
Wohlthaten, welche Du mir erwieſen, haben mich Dir ſo
ſchnell und innig genähert. Deren bedarf ich nicht, denn
ich zähle zu den Reicheren meines Volkes und habe keinen
Sohn, keinen Erben, dem ich erworbene Schätze vermachen
könnte. Einſtmals nannte ich einen Knaben mein, ein
ſchönes, liebliches Kind; — aber das wollte ich Dir ja
nicht ſagen, ich ... Zürneſt Du meiner Freimüthigkeit, o
König?“
„Wie ſollte ich!“ antwortete der Herrſcher, zu dem
noch Niemand vor dem Athener in ähnlicher Weiſe geredet
hatte, und der ſich mächtig zu dem ſeltſamen Fremden
hingezogen fühlte.
„Bis zum heutigen Tage war mir Dein Schmerz zu
heilig, um denſelben zu ſtören; jetzt aber iſt die Zeit
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/54>, abgerufen am 16.07.2024.
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