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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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zusammen und erwachte. Nebenchari hatte drei Tage und
drei Nächte fast ohne jede Unterbrechung an diesem Lager
gesessen. Jene Träume waren wohl berechtigt, den Ueber-
müdeten aufzusuchen.

Atossa schlich zu ihrer Mutter zurück. Tiefes Schwei-
gen lagerte in der schwülen Luft des Krankenzimmers. Der
Aegypter gedachte seines Traumes; er sagte sich, daß er
im, Begriff sei, zum Verräther und Verbrecher zu werden.
Nochmals zog Alles, was er im Halbschlummer geschaut
hatte, an seinen Blicken vorüber; dießmal aber drängte sich
ein andres Bild vor jene schrecklichen Gesichter. Nebenchari
sah sich neben den mit Ketten belasteten Gestalten des
Amasis, der ihn verbannt und verspottet, des Psamtik und
der Priester, die seine Werke vernichtet hatten, stehen.
Seine Lippen bewegten sich leise; sie durften an dieser
Stätte den unbarmherzigen Worten, die er im Geiste seinen
um Gnade flehenden Feinden zurief, keine Sprache geben.
Dann wischte sich der harte Mann eine Thräne aus dem
Auge. Vor seiner Seele zogen die langen Nächte vorüber,
in denen er, mit dem Schreiberohr in der Hand, bei'm
matten Schein der Lampe dagesessen und seine Gedanken
und Erfahrungen, jeden Buchstaben sorglich malend, in den
feinsten hieratischen Zeichen niedergeschrieben hatte. Für
manche Krankheit des Auges, welche die heilige Ambres
unheilbar nannte, hatte er ein Rettungsmittel gefunden.
Aber er wußte wohl, daß seine Amtsgenossen ihn des
Frevels bezüchtiget haben würden, wenn er sich heraus-
genommen hätte, das geweihte Buch verbessern zu wollen.
Darum hatte er als Ueberschrift seines Werkes die Worte
gewählt: "Einige neue von Nebenchari, dem Augenarzt,
aufgefundene Schriften des großen Thoth 16), die Heil-
kunde des Gesichts betreffend." -- Nach seinem Tode wollte

zuſammen und erwachte. Nebenchari hatte drei Tage und
drei Nächte faſt ohne jede Unterbrechung an dieſem Lager
geſeſſen. Jene Träume waren wohl berechtigt, den Ueber-
müdeten aufzuſuchen.

Atoſſa ſchlich zu ihrer Mutter zurück. Tiefes Schwei-
gen lagerte in der ſchwülen Luft des Krankenzimmers. Der
Aegypter gedachte ſeines Traumes; er ſagte ſich, daß er
im, Begriff ſei, zum Verräther und Verbrecher zu werden.
Nochmals zog Alles, was er im Halbſchlummer geſchaut
hatte, an ſeinen Blicken vorüber; dießmal aber drängte ſich
ein andres Bild vor jene ſchrecklichen Geſichter. Nebenchari
ſah ſich neben den mit Ketten belaſteten Geſtalten des
Amaſis, der ihn verbannt und verſpottet, des Pſamtik und
der Prieſter, die ſeine Werke vernichtet hatten, ſtehen.
Seine Lippen bewegten ſich leiſe; ſie durften an dieſer
Stätte den unbarmherzigen Worten, die er im Geiſte ſeinen
um Gnade flehenden Feinden zurief, keine Sprache geben.
Dann wiſchte ſich der harte Mann eine Thräne aus dem
Auge. Vor ſeiner Seele zogen die langen Nächte vorüber,
in denen er, mit dem Schreiberohr in der Hand, bei’m
matten Schein der Lampe dageſeſſen und ſeine Gedanken
und Erfahrungen, jeden Buchſtaben ſorglich malend, in den
feinſten hieratiſchen Zeichen niedergeſchrieben hatte. Für
manche Krankheit des Auges, welche die heilige Ambres
unheilbar nannte, hatte er ein Rettungsmittel gefunden.
Aber er wußte wohl, daß ſeine Amtsgenoſſen ihn des
Frevels bezüchtiget haben würden, wenn er ſich heraus-
genommen hätte, das geweihte Buch verbeſſern zu wollen.
Darum hatte er als Ueberſchrift ſeines Werkes die Worte
gewählt: „Einige neue von Nebenchari, dem Augenarzt,
aufgefundene Schriften des großen Thoth 16), die Heil-
kunde des Geſichts betreffend.“ — Nach ſeinem Tode wollte

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[31/0041] zuſammen und erwachte. Nebenchari hatte drei Tage und drei Nächte faſt ohne jede Unterbrechung an dieſem Lager geſeſſen. Jene Träume waren wohl berechtigt, den Ueber- müdeten aufzuſuchen. Atoſſa ſchlich zu ihrer Mutter zurück. Tiefes Schwei- gen lagerte in der ſchwülen Luft des Krankenzimmers. Der Aegypter gedachte ſeines Traumes; er ſagte ſich, daß er im, Begriff ſei, zum Verräther und Verbrecher zu werden. Nochmals zog Alles, was er im Halbſchlummer geſchaut hatte, an ſeinen Blicken vorüber; dießmal aber drängte ſich ein andres Bild vor jene ſchrecklichen Geſichter. Nebenchari ſah ſich neben den mit Ketten belaſteten Geſtalten des Amaſis, der ihn verbannt und verſpottet, des Pſamtik und der Prieſter, die ſeine Werke vernichtet hatten, ſtehen. Seine Lippen bewegten ſich leiſe; ſie durften an dieſer Stätte den unbarmherzigen Worten, die er im Geiſte ſeinen um Gnade flehenden Feinden zurief, keine Sprache geben. Dann wiſchte ſich der harte Mann eine Thräne aus dem Auge. Vor ſeiner Seele zogen die langen Nächte vorüber, in denen er, mit dem Schreiberohr in der Hand, bei’m matten Schein der Lampe dageſeſſen und ſeine Gedanken und Erfahrungen, jeden Buchſtaben ſorglich malend, in den feinſten hieratiſchen Zeichen niedergeſchrieben hatte. Für manche Krankheit des Auges, welche die heilige Ambres unheilbar nannte, hatte er ein Rettungsmittel gefunden. Aber er wußte wohl, daß ſeine Amtsgenoſſen ihn des Frevels bezüchtiget haben würden, wenn er ſich heraus- genommen hätte, das geweihte Buch verbeſſern zu wollen. Darum hatte er als Ueberſchrift ſeines Werkes die Worte gewählt: „Einige neue von Nebenchari, dem Augenarzt, aufgefundene Schriften des großen Thoth 16), die Heil- kunde des Geſichts betreffend.“ — Nach ſeinem Tode wollte

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/41>, abgerufen am 28.04.2024.