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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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angethane Schmach, als mein Blutsverwandter, hätte rächen
sollen, gemordet habe! Aber ich kann ihn nicht vom Tode
erwecken, und darum ernenne ich euch zu Vollstreckern
meines letzten Willens. So beschwöre ich euch denn, bei
dem Feruer *) meines verstorbenen Vaters und im Namen
aller guten und reinen Geister, daß ihr die Regierung
nicht in die Hände der falschen Magier fallen laßt. Wenn
dieselben sich mit List der Krone bemächtigt haben, so sucht
sie ihnen wiederum durch List zu entreißen; brachten sie
das Szepter mit Gewalt an sich, so entwindet es ihnen
in gleicher Weise. Folgt ihr diesem meinem letzten Willen,
dann soll euch die Erde reiche Früchte bringen, eure Wei-
ber und Heerden gesegnet, und Freiheit für alle Zeit euer
Loos sein; werdet ihr aber die Herrschaft nicht wieder er-
langen oder zu erringen streben, dann soll euch das Gegen-
theil treffen; ja, dann sollt ihr Alle, dann soll jeder Perser
ein Ende nehmen, wie ich!"

Als die Achämeniden den König nach diesen Worten
weinen und kraftlos zurücksinken sahen, zerrissen sie ihre
Kleider und erhoben ein Klagegeschrei 170). Wenige Stun-
den später gab Kambyses in Krösus Armen den Geist auf.
Jn seiner letzten Stunde dachte er an Nitetis und starb
mit ihrem Namen auf den Lippen und mit Thränen der
Reue in den Augen.

Nachdem die Perser den unreinen Leichnam verlassen
hatten, kniete Krösus vor demselben nieder und rief, seine
Hand gen Himmel erhebend: "Großer Kyros! Jch habe
meinen Schwur gehalten und als treuer Mahner bei
diesem Unglücklichen ausgehalten, bis an sein Ende!"

Am folgenden Morgen begab sich der Greis mit sei-

*) Siehe II. Theil. Anmerk. 54.

angethane Schmach, als mein Blutsverwandter, hätte rächen
ſollen, gemordet habe! Aber ich kann ihn nicht vom Tode
erwecken, und darum ernenne ich euch zu Vollſtreckern
meines letzten Willens. So beſchwöre ich euch denn, bei
dem Feruer *) meines verſtorbenen Vaters und im Namen
aller guten und reinen Geiſter, daß ihr die Regierung
nicht in die Hände der falſchen Magier fallen laßt. Wenn
dieſelben ſich mit Liſt der Krone bemächtigt haben, ſo ſucht
ſie ihnen wiederum durch Liſt zu entreißen; brachten ſie
das Szepter mit Gewalt an ſich, ſo entwindet es ihnen
in gleicher Weiſe. Folgt ihr dieſem meinem letzten Willen,
dann ſoll euch die Erde reiche Früchte bringen, eure Wei-
ber und Heerden geſegnet, und Freiheit für alle Zeit euer
Loos ſein; werdet ihr aber die Herrſchaft nicht wieder er-
langen oder zu erringen ſtreben, dann ſoll euch das Gegen-
theil treffen; ja, dann ſollt ihr Alle, dann ſoll jeder Perſer
ein Ende nehmen, wie ich!“

Als die Achämeniden den König nach dieſen Worten
weinen und kraftlos zurückſinken ſahen, zerriſſen ſie ihre
Kleider und erhoben ein Klagegeſchrei 170). Wenige Stun-
den ſpäter gab Kambyſes in Kröſus Armen den Geiſt auf.
Jn ſeiner letzten Stunde dachte er an Nitetis und ſtarb
mit ihrem Namen auf den Lippen und mit Thränen der
Reue in den Augen.

Nachdem die Perſer den unreinen Leichnam verlaſſen
hatten, kniete Kröſus vor demſelben nieder und rief, ſeine
Hand gen Himmel erhebend: „Großer Kyros! Jch habe
meinen Schwur gehalten und als treuer Mahner bei
dieſem Unglücklichen ausgehalten, bis an ſein Ende!“

Am folgenden Morgen begab ſich der Greis mit ſei-

*) Siehe II. Theil. Anmerk. 54.
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[255/0265] angethane Schmach, als mein Blutsverwandter, hätte rächen ſollen, gemordet habe! Aber ich kann ihn nicht vom Tode erwecken, und darum ernenne ich euch zu Vollſtreckern meines letzten Willens. So beſchwöre ich euch denn, bei dem Feruer *) meines verſtorbenen Vaters und im Namen aller guten und reinen Geiſter, daß ihr die Regierung nicht in die Hände der falſchen Magier fallen laßt. Wenn dieſelben ſich mit Liſt der Krone bemächtigt haben, ſo ſucht ſie ihnen wiederum durch Liſt zu entreißen; brachten ſie das Szepter mit Gewalt an ſich, ſo entwindet es ihnen in gleicher Weiſe. Folgt ihr dieſem meinem letzten Willen, dann ſoll euch die Erde reiche Früchte bringen, eure Wei- ber und Heerden geſegnet, und Freiheit für alle Zeit euer Loos ſein; werdet ihr aber die Herrſchaft nicht wieder er- langen oder zu erringen ſtreben, dann ſoll euch das Gegen- theil treffen; ja, dann ſollt ihr Alle, dann ſoll jeder Perſer ein Ende nehmen, wie ich!“ Als die Achämeniden den König nach dieſen Worten weinen und kraftlos zurückſinken ſahen, zerriſſen ſie ihre Kleider und erhoben ein Klagegeſchrei 170). Wenige Stun- den ſpäter gab Kambyſes in Kröſus Armen den Geiſt auf. Jn ſeiner letzten Stunde dachte er an Nitetis und ſtarb mit ihrem Namen auf den Lippen und mit Thränen der Reue in den Augen. Nachdem die Perſer den unreinen Leichnam verlaſſen hatten, kniete Kröſus vor demſelben nieder und rief, ſeine Hand gen Himmel erhebend: „Großer Kyros! Jch habe meinen Schwur gehalten und als treuer Mahner bei dieſem Unglücklichen ausgehalten, bis an ſein Ende!“ Am folgenden Morgen begab ſich der Greis mit ſei- *) Siehe II. Theil. Anmerk. 54.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/265>, abgerufen am 20.05.2024.