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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Wenige Wochen später begab sich der König nach
Sais. Als man ihm dort die Gemächer seiner einstigen
Geliebten zeigte, erwachte die längst vergessene Erinnerung
an dieselbe mit neuer Kraft in seiner Seele, und sein ge-
trübtes Gedächtniß mahnte ihn zu gleicher Zeit, daß Amasis
ihn und sie betrogen habe. Ohne sich über die einzelnen
Umstände Rechenschaft geben zu können, fluchte er dem
Verstorbenen und ließ sich tobend zum Tempel der Neith
führen, woselbst seine Mumie ruhte. Dort riß er den
balsamirten Leichnam des Königs aus dem Sarkophage,
ließ denselben mit Ruthen schlagen, mit Nadeln stechen,
ihm die Haare ausreißen, ihn in jeder Weise mißhandeln und
endlich, gegen das religiöse Gesetz der Perser, welches die
Verunreinigung des reinen Feuers durch Leichname für
eine Todsünde hält, verbrennen. Zu gleichem Schicksale
verdammte er die Mumie der ersten Gattin des Amasis,
welche zu Theben, ihrer Heimat, im Sarkophage ruhte 156).

Nach Memphis zurückgekehrt, scheute er sich nicht,
seine Gattin und Schwester Atossa mit eigner Hand zu
mißhandeln.

Eines Tages hatte er nämlich ein Kampfspiel ange-
ordnet, in welchem unter Anderen ein Hund mit einem
jungen Löwen kämpfen mußte. Als der Leu seinen Gegner
bewältigt hatte, riß sich ein andrer Hund, der Bruder des
Ueberwundenen, von seiner Kette los, stürzte sich auf den
Löwen und bezwang denselben mit Hülfe des Verwundeten.
Dieser Anblick, der dem Kambyses große Freude machte,
veranlaßte Kassandane und Atossa, welche dem Schauspiele
auf Befehl des Königs beiwohnen mußten, laut zu weinen.

Der erstaunte Tyrann fragte sie um die Ursache ihrer
Thränen, und erhielt von der heftigen Atossa die Antwort:
Das tapfere Thier, welches für seinen Bruder sein Leben

Ebers, Eine ägyptische Königstochter. III. 15

Wenige Wochen ſpäter begab ſich der König nach
Sais. Als man ihm dort die Gemächer ſeiner einſtigen
Geliebten zeigte, erwachte die längſt vergeſſene Erinnerung
an dieſelbe mit neuer Kraft in ſeiner Seele, und ſein ge-
trübtes Gedächtniß mahnte ihn zu gleicher Zeit, daß Amaſis
ihn und ſie betrogen habe. Ohne ſich über die einzelnen
Umſtände Rechenſchaft geben zu können, fluchte er dem
Verſtorbenen und ließ ſich tobend zum Tempel der Neith
führen, woſelbſt ſeine Mumie ruhte. Dort riß er den
balſamirten Leichnam des Königs aus dem Sarkophage,
ließ denſelben mit Ruthen ſchlagen, mit Nadeln ſtechen,
ihm die Haare ausreißen, ihn in jeder Weiſe mißhandeln und
endlich, gegen das religiöſe Geſetz der Perſer, welches die
Verunreinigung des reinen Feuers durch Leichname für
eine Todſünde hält, verbrennen. Zu gleichem Schickſale
verdammte er die Mumie der erſten Gattin des Amaſis,
welche zu Theben, ihrer Heimat, im Sarkophage ruhte 156).

Nach Memphis zurückgekehrt, ſcheute er ſich nicht,
ſeine Gattin und Schweſter Atoſſa mit eigner Hand zu
mißhandeln.

Eines Tages hatte er nämlich ein Kampfſpiel ange-
ordnet, in welchem unter Anderen ein Hund mit einem
jungen Löwen kämpfen mußte. Als der Leu ſeinen Gegner
bewältigt hatte, riß ſich ein andrer Hund, der Bruder des
Ueberwundenen, von ſeiner Kette los, ſtürzte ſich auf den
Löwen und bezwang denſelben mit Hülfe des Verwundeten.
Dieſer Anblick, der dem Kambyſes große Freude machte,
veranlaßte Kaſſandane und Atoſſa, welche dem Schauſpiele
auf Befehl des Königs beiwohnen mußten, laut zu weinen.

Der erſtaunte Tyrann fragte ſie um die Urſache ihrer
Thränen, und erhielt von der heftigen Atoſſa die Antwort:
Das tapfere Thier, welches für ſeinen Bruder ſein Leben

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. III. 15
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[225/0235] Wenige Wochen ſpäter begab ſich der König nach Sais. Als man ihm dort die Gemächer ſeiner einſtigen Geliebten zeigte, erwachte die längſt vergeſſene Erinnerung an dieſelbe mit neuer Kraft in ſeiner Seele, und ſein ge- trübtes Gedächtniß mahnte ihn zu gleicher Zeit, daß Amaſis ihn und ſie betrogen habe. Ohne ſich über die einzelnen Umſtände Rechenſchaft geben zu können, fluchte er dem Verſtorbenen und ließ ſich tobend zum Tempel der Neith führen, woſelbſt ſeine Mumie ruhte. Dort riß er den balſamirten Leichnam des Königs aus dem Sarkophage, ließ denſelben mit Ruthen ſchlagen, mit Nadeln ſtechen, ihm die Haare ausreißen, ihn in jeder Weiſe mißhandeln und endlich, gegen das religiöſe Geſetz der Perſer, welches die Verunreinigung des reinen Feuers durch Leichname für eine Todſünde hält, verbrennen. Zu gleichem Schickſale verdammte er die Mumie der erſten Gattin des Amaſis, welche zu Theben, ihrer Heimat, im Sarkophage ruhte 156). Nach Memphis zurückgekehrt, ſcheute er ſich nicht, ſeine Gattin und Schweſter Atoſſa mit eigner Hand zu mißhandeln. Eines Tages hatte er nämlich ein Kampfſpiel ange- ordnet, in welchem unter Anderen ein Hund mit einem jungen Löwen kämpfen mußte. Als der Leu ſeinen Gegner bewältigt hatte, riß ſich ein andrer Hund, der Bruder des Ueberwundenen, von ſeiner Kette los, ſtürzte ſich auf den Löwen und bezwang denſelben mit Hülfe des Verwundeten. Dieſer Anblick, der dem Kambyſes große Freude machte, veranlaßte Kaſſandane und Atoſſa, welche dem Schauſpiele auf Befehl des Königs beiwohnen mußten, laut zu weinen. Der erſtaunte Tyrann fragte ſie um die Urſache ihrer Thränen, und erhielt von der heftigen Atoſſa die Antwort: Das tapfere Thier, welches für ſeinen Bruder ſein Leben Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. III. 15

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/235>, abgerufen am 11.05.2024.