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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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"Verzeih' mir, wenn ich Dich abermals auf einige
Jrrthümer aufmerksam mache. Erstens befindet sich jenes
Kästchen, wie gesagt, in meinem Gewahrsam und wird
Dir, so hoch ich sonst das Recht des Eigenthümers zu
achten gewohnt bin, nicht eher zurückerstattet werden, bis
mir der Jnhalt desselben zu meinen Zwecken gedient hat;
zweitens verweilt in der That, durch die wunderbare Fü-
gung der Götter, ein Mann zu Babylon, welcher jede
Schriftart, die ein ägyptischer Priester nur immer kennen
mag, zu lesen versteht. Erinnerst Du Dich zufällig des
Namens Onuphis?"

Der Arzt erbleichte zum drittenmale und fragte: "Bist
Du sicher, daß dieser Mann noch immer unter den Leben-
den wandelt?"

"Gestern hab' ich mit ihm gesprochen. Er war, wie
Du weißt, Oberpriester zu Heliopolis und darum in all'
eure Geheimlehren eingeweiht. Mein weiser Landsmann
Pythagoras von Samos kam nach Aegypten, erlangte,
nachdem er sich einigen eurer Ceremonien unterworfen
hatte 9), die Erlaubniß, an dem Unterrichte der Priester-
schule von Heliopolis Theil zu nehmen, gewann sich durch
seine großen geistigen Vorzüge die Liebe des trefflichen
Onuphis, wurde durch denselben in alle Geheimlehren 10) ein-
geweiht und machte dieselben der Welt nutzbar. Jch selbst
und meine treffliche Freundin Rhodopis nennen uns mit
Stolz seine Schüler. Als Deine Standesgenossen erfuhren,
daß Onuphis zum Verräther der Mysterien geworden sei,
beschlossen die priesterlichen Richter, ihn umzubringen. Er
sollte durch ein Gift getödtet werden, das man aus den
Kernen des Pfirsichbaumes, der eurem Gotte des Schwei-
gens 11) geweiht ist, gewinnen kann. Der Verurtheilte
hörte von dem, was ihn bedrohte, und floh nach Naukratis,

„Verzeih’ mir, wenn ich Dich abermals auf einige
Jrrthümer aufmerkſam mache. Erſtens befindet ſich jenes
Käſtchen, wie geſagt, in meinem Gewahrſam und wird
Dir, ſo hoch ich ſonſt das Recht des Eigenthümers zu
achten gewohnt bin, nicht eher zurückerſtattet werden, bis
mir der Jnhalt deſſelben zu meinen Zwecken gedient hat;
zweitens verweilt in der That, durch die wunderbare Fü-
gung der Götter, ein Mann zu Babylon, welcher jede
Schriftart, die ein ägyptiſcher Prieſter nur immer kennen
mag, zu leſen verſteht. Erinnerſt Du Dich zufällig des
Namens Onuphis?“

Der Arzt erbleichte zum drittenmale und fragte: „Biſt
Du ſicher, daß dieſer Mann noch immer unter den Leben-
den wandelt?“

„Geſtern hab’ ich mit ihm geſprochen. Er war, wie
Du weißt, Oberprieſter zu Heliopolis und darum in all’
eure Geheimlehren eingeweiht. Mein weiſer Landsmann
Pythagoras von Samos kam nach Aegypten, erlangte,
nachdem er ſich einigen eurer Ceremonien unterworfen
hatte 9), die Erlaubniß, an dem Unterrichte der Prieſter-
ſchule von Heliopolis Theil zu nehmen, gewann ſich durch
ſeine großen geiſtigen Vorzüge die Liebe des trefflichen
Onuphis, wurde durch denſelben in alle Geheimlehren 10) ein-
geweiht und machte dieſelben der Welt nutzbar. Jch ſelbſt
und meine treffliche Freundin Rhodopis nennen uns mit
Stolz ſeine Schüler. Als Deine Standesgenoſſen erfuhren,
daß Onuphis zum Verräther der Myſterien geworden ſei,
beſchloſſen die prieſterlichen Richter, ihn umzubringen. Er
ſollte durch ein Gift getödtet werden, das man aus den
Kernen des Pfirſichbaumes, der eurem Gotte des Schwei-
gens 11) geweiht iſt, gewinnen kann. Der Verurtheilte
hörte von dem, was ihn bedrohte, und floh nach Naukratis,

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[15/0023] „Verzeih’ mir, wenn ich Dich abermals auf einige Jrrthümer aufmerkſam mache. Erſtens befindet ſich jenes Käſtchen, wie geſagt, in meinem Gewahrſam und wird Dir, ſo hoch ich ſonſt das Recht des Eigenthümers zu achten gewohnt bin, nicht eher zurückerſtattet werden, bis mir der Jnhalt deſſelben zu meinen Zwecken gedient hat; zweitens verweilt in der That, durch die wunderbare Fü- gung der Götter, ein Mann zu Babylon, welcher jede Schriftart, die ein ägyptiſcher Prieſter nur immer kennen mag, zu leſen verſteht. Erinnerſt Du Dich zufällig des Namens Onuphis?“ Der Arzt erbleichte zum drittenmale und fragte: „Biſt Du ſicher, daß dieſer Mann noch immer unter den Leben- den wandelt?“ „Geſtern hab’ ich mit ihm geſprochen. Er war, wie Du weißt, Oberprieſter zu Heliopolis und darum in all’ eure Geheimlehren eingeweiht. Mein weiſer Landsmann Pythagoras von Samos kam nach Aegypten, erlangte, nachdem er ſich einigen eurer Ceremonien unterworfen hatte 9), die Erlaubniß, an dem Unterrichte der Prieſter- ſchule von Heliopolis Theil zu nehmen, gewann ſich durch ſeine großen geiſtigen Vorzüge die Liebe des trefflichen Onuphis, wurde durch denſelben in alle Geheimlehren 10) ein- geweiht und machte dieſelben der Welt nutzbar. Jch ſelbſt und meine treffliche Freundin Rhodopis nennen uns mit Stolz ſeine Schüler. Als Deine Standesgenoſſen erfuhren, daß Onuphis zum Verräther der Myſterien geworden ſei, beſchloſſen die prieſterlichen Richter, ihn umzubringen. Er ſollte durch ein Gift getödtet werden, das man aus den Kernen des Pfirſichbaumes, der eurem Gotte des Schwei- gens 11) geweiht iſt, gewinnen kann. Der Verurtheilte hörte von dem, was ihn bedrohte, und floh nach Naukratis,

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/23>, abgerufen am 28.04.2024.