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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Ruht er in dem Schilf, dem schwanken,
Rings umkränzt von Lotosranken.
Rosige Flamingoschaaren
Hüten ihn, den Wunderbaren,
Und der Nachtigallen Klage
Weint auf seinem Sarkophage."

"Also rief jene wunderbare Stimme, welche der Sohn
des Neithoteph, der an meiner Seite weilte, ,den Wind
des Gerüchtes' nannte.

"Kaum hatte Jsis die frohe Kunde vernommen, als
sie ihre Trauerkleider abwarf und, begleitet von den Stim-
men ihres liebreizenden Gefolges, ein helles Jubellied an-
stimmte. Das Gerücht hatte nicht gelogen, denn die Göttin
fand in der That am nördlichen Ufer 126) des See's den
Sarkophag und die Leiche ihres Gatten.

"Sobald Derselbe unter Tänzen an's Land gebracht
worden war, warf sich Jsis über die geliebte Leiche, rief
Osiris beim Namen und bedeckte die Mumie des Todten
mit tausend Küssen, während die Jünglinge ein wunder-
volles Grabgewölbe von Lotosblumen und Epheuranken
für denselben zusammenflochten.

"Nachdem der Sarkophag beigesetzt war, verließ Jsis
die Stätte der Trauer, um ihren Sohn aufzusuchen. Sie
fand denselben am östlichen Ende des See's, woselbst ich
schon lange einen wunderschönen Jüngling bemerkt hatte,
der sich mit zahlreichen Altersgenossen in Waffenspielen
übte. Dieser stellte den nunmehr herangewachsenen Ho-
rus dar.

"Während sich die Mutter mit dem schönen Kinde
freute, ließ sich ein neuer Donner vernehmen, der zum
zweitenmale das Nahen des Typhon verkündete. Das
Ungeheuer stürzte sich auf das blühende Grab seines

Ruht er in dem Schilf, dem ſchwanken,
Rings umkränzt von Lotosranken.
Roſige Flamingoſchaaren
Hüten ihn, den Wunderbaren,
Und der Nachtigallen Klage
Weint auf ſeinem Sarkophage.“

„Alſo rief jene wunderbare Stimme, welche der Sohn
des Neithoteph, der an meiner Seite weilte, ‚den Wind
des Gerüchtes‘ nannte.

„Kaum hatte Jſis die frohe Kunde vernommen, als
ſie ihre Trauerkleider abwarf und, begleitet von den Stim-
men ihres liebreizenden Gefolges, ein helles Jubellied an-
ſtimmte. Das Gerücht hatte nicht gelogen, denn die Göttin
fand in der That am nördlichen Ufer 126) des See’s den
Sarkophag und die Leiche ihres Gatten.

„Sobald Derſelbe unter Tänzen an’s Land gebracht
worden war, warf ſich Jſis über die geliebte Leiche, rief
Oſiris beim Namen und bedeckte die Mumie des Todten
mit tauſend Küſſen, während die Jünglinge ein wunder-
volles Grabgewölbe von Lotosblumen und Epheuranken
für denſelben zuſammenflochten.

„Nachdem der Sarkophag beigeſetzt war, verließ Jſis
die Stätte der Trauer, um ihren Sohn aufzuſuchen. Sie
fand denſelben am öſtlichen Ende des See’s, woſelbſt ich
ſchon lange einen wunderſchönen Jüngling bemerkt hatte,
der ſich mit zahlreichen Altersgenoſſen in Waffenſpielen
übte. Dieſer ſtellte den nunmehr herangewachſenen Ho-
rus dar.

„Während ſich die Mutter mit dem ſchönen Kinde
freute, ließ ſich ein neuer Donner vernehmen, der zum
zweitenmale das Nahen des Typhon verkündete. Das
Ungeheuer ſtürzte ſich auf das blühende Grab ſeines

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[186/0196] Ruht er in dem Schilf, dem ſchwanken, Rings umkränzt von Lotosranken. Roſige Flamingoſchaaren Hüten ihn, den Wunderbaren, Und der Nachtigallen Klage Weint auf ſeinem Sarkophage.“ „Alſo rief jene wunderbare Stimme, welche der Sohn des Neithoteph, der an meiner Seite weilte, ‚den Wind des Gerüchtes‘ nannte. „Kaum hatte Jſis die frohe Kunde vernommen, als ſie ihre Trauerkleider abwarf und, begleitet von den Stim- men ihres liebreizenden Gefolges, ein helles Jubellied an- ſtimmte. Das Gerücht hatte nicht gelogen, denn die Göttin fand in der That am nördlichen Ufer 126) des See’s den Sarkophag und die Leiche ihres Gatten. „Sobald Derſelbe unter Tänzen an’s Land gebracht worden war, warf ſich Jſis über die geliebte Leiche, rief Oſiris beim Namen und bedeckte die Mumie des Todten mit tauſend Küſſen, während die Jünglinge ein wunder- volles Grabgewölbe von Lotosblumen und Epheuranken für denſelben zuſammenflochten. „Nachdem der Sarkophag beigeſetzt war, verließ Jſis die Stätte der Trauer, um ihren Sohn aufzuſuchen. Sie fand denſelben am öſtlichen Ende des See’s, woſelbſt ich ſchon lange einen wunderſchönen Jüngling bemerkt hatte, der ſich mit zahlreichen Altersgenoſſen in Waffenſpielen übte. Dieſer ſtellte den nunmehr herangewachſenen Ho- rus dar. „Während ſich die Mutter mit dem ſchönen Kinde freute, ließ ſich ein neuer Donner vernehmen, der zum zweitenmale das Nahen des Typhon verkündete. Das Ungeheuer ſtürzte ſich auf das blühende Grab ſeines

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/196>, abgerufen am 10.05.2024.