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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Eltern zu ernähren und zu pflegen. Diese Vorschrift zeigt,
wie fein die weisen Väter eines jetzt gedemüthigten Volkes
die Natur des Weibes zu beurtheilen verstanden, -- wie
richtig sie erkannt hatten, daß wir euch Männer an um-
sichtiger Sorge, aufmerksamer Pflege und hingebender Liebe
um Vieles übertreffen! -- Spottet nicht dieser Thieran-
beter, welche ich nicht verstehe und dennoch schon darum
tief bewundere, weil mich Pythagoras, der Meister alles
Wissens, versichert hat, -- die in den Lehren der Priester
verborgene Weisheit sei so ungeheuer, als die Pyra-
miden."

"Und euer großer Lehrer hat Recht!" rief Darius.
"Jhr wißt, daß ich seit mehreren Wochen täglich mit
Neithoteph, dem Oberpriester der Neith, den ich aus seiner
Gefangenschaft befreien ließ, sowie mit dem alten Onuphis
verkehre, oder besser mich von denselben unterrichten lasse.
Wie viel Neues, nie Geahntes hab' ich von den Greisen
erlernt! -- Wie viel Trauriges vergeß' ich, wenn ich
ihren Lehren lausche! -- Die ganze Geschichte des Him-
mels und der Erde ist ihnen bewußt. Sie kennen den
Namen jedes Königs, -- den Hergang jedes bedeutsamen
Ereignisses seit viertausend Jahren; -- sie haben Kunde
vom Lauf aller Sterne und den Leistungen aller Künstler
und Weisen ihres Volkes seit eben so langer Zeit, --
denn alles Dieß steht aufgezeichnet in großen Büchern, --
welche zu Theben *) in einem Palaste, den sie "Heilan-
stalt der Seele" nennen, aufbewahrt werden. -- Jhre
Gesetze sind ein reiner Quell der Weisheit, und die Ein-
richtungen ihres Staates den Bedürfnissen des Landes
mit hohem Geist angepaßt. Jch wollte, daß wir uns der

*) Siehe III. Theil. Anmerk. 17.

Eltern zu ernähren und zu pflegen. Dieſe Vorſchrift zeigt,
wie fein die weiſen Väter eines jetzt gedemüthigten Volkes
die Natur des Weibes zu beurtheilen verſtanden, — wie
richtig ſie erkannt hatten, daß wir euch Männer an um-
ſichtiger Sorge, aufmerkſamer Pflege und hingebender Liebe
um Vieles übertreffen! — Spottet nicht dieſer Thieran-
beter, welche ich nicht verſtehe und dennoch ſchon darum
tief bewundere, weil mich Pythagoras, der Meiſter alles
Wiſſens, verſichert hat, — die in den Lehren der Prieſter
verborgene Weisheit ſei ſo ungeheuer, als die Pyra-
miden.“

„Und euer großer Lehrer hat Recht!“ rief Darius.
„Jhr wißt, daß ich ſeit mehreren Wochen täglich mit
Neithoteph, dem Oberprieſter der Neith, den ich aus ſeiner
Gefangenſchaft befreien ließ, ſowie mit dem alten Onuphis
verkehre, oder beſſer mich von denſelben unterrichten laſſe.
Wie viel Neues, nie Geahntes hab’ ich von den Greiſen
erlernt! — Wie viel Trauriges vergeß’ ich, wenn ich
ihren Lehren lauſche! — Die ganze Geſchichte des Him-
mels und der Erde iſt ihnen bewußt. Sie kennen den
Namen jedes Königs, — den Hergang jedes bedeutſamen
Ereigniſſes ſeit viertauſend Jahren; — ſie haben Kunde
vom Lauf aller Sterne und den Leiſtungen aller Künſtler
und Weiſen ihres Volkes ſeit eben ſo langer Zeit, —
denn alles Dieß ſteht aufgezeichnet in großen Büchern, —
welche zu Theben *) in einem Palaſte, den ſie „Heilan-
ſtalt der Seele“ nennen, aufbewahrt werden. — Jhre
Geſetze ſind ein reiner Quell der Weisheit, und die Ein-
richtungen ihres Staates den Bedürfniſſen des Landes
mit hohem Geiſt angepaßt. Jch wollte, daß wir uns der

*) Siehe III. Theil. Anmerk. 17.
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[179/0189] Eltern zu ernähren und zu pflegen. Dieſe Vorſchrift zeigt, wie fein die weiſen Väter eines jetzt gedemüthigten Volkes die Natur des Weibes zu beurtheilen verſtanden, — wie richtig ſie erkannt hatten, daß wir euch Männer an um- ſichtiger Sorge, aufmerkſamer Pflege und hingebender Liebe um Vieles übertreffen! — Spottet nicht dieſer Thieran- beter, welche ich nicht verſtehe und dennoch ſchon darum tief bewundere, weil mich Pythagoras, der Meiſter alles Wiſſens, verſichert hat, — die in den Lehren der Prieſter verborgene Weisheit ſei ſo ungeheuer, als die Pyra- miden.“ „Und euer großer Lehrer hat Recht!“ rief Darius. „Jhr wißt, daß ich ſeit mehreren Wochen täglich mit Neithoteph, dem Oberprieſter der Neith, den ich aus ſeiner Gefangenſchaft befreien ließ, ſowie mit dem alten Onuphis verkehre, oder beſſer mich von denſelben unterrichten laſſe. Wie viel Neues, nie Geahntes hab’ ich von den Greiſen erlernt! — Wie viel Trauriges vergeß’ ich, wenn ich ihren Lehren lauſche! — Die ganze Geſchichte des Him- mels und der Erde iſt ihnen bewußt. Sie kennen den Namen jedes Königs, — den Hergang jedes bedeutſamen Ereigniſſes ſeit viertauſend Jahren; — ſie haben Kunde vom Lauf aller Sterne und den Leiſtungen aller Künſtler und Weiſen ihres Volkes ſeit eben ſo langer Zeit, — denn alles Dieß ſteht aufgezeichnet in großen Büchern, — welche zu Theben *) in einem Palaſte, den ſie „Heilan- ſtalt der Seele“ nennen, aufbewahrt werden. — Jhre Geſetze ſind ein reiner Quell der Weisheit, und die Ein- richtungen ihres Staates den Bedürfniſſen des Landes mit hohem Geiſt angepaßt. Jch wollte, daß wir uns der *) Siehe III. Theil. Anmerk. 17.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/189>, abgerufen am 10.05.2024.