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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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ich bis dahin als ein heiliges, mir anvertrautes Pfand
behütet habe. Betrachte Du Dein Weib in gleicher Weise
als einen dargeliehenen Schatz, denn Nichts ist gefährlicher
für die Liebe, als die behagliche Sicherheit des ausschließ-
lichen Besitzes. -- Man hat mich getadelt, weil ich das
unerfahrene Kind in die den Frauen ungünstigen Ver-
hältnisse Deiner fernen Heimat ziehen lasse; ich kenne aber
die Liebe und weiß, daß es für eine liebende Jungfrau
kein anderes Vaterland gibt, als das Herz des Mannes,
dem sie sich hingibt, daß ein von Eros getroffenes Weib
kein andres Unglück achtet, als das, getrennt von dem
Manne ihrer Wahl leben zu müssen. Und außerdem frage
ich euch, Kallias und Theopompos, sind eure Gattinnen
vor denen der Perser so sehr bevorzugt? -- Muß die
jonische, attische Frau nicht, gleich der Perserin, in den
Weibergemächern ihr Leben verbringen und froh sein,
wenn man ihr ausnahmsweise gestattet, tiefverschleiert und
von mißtrauischen Sklaven begleitet, über die Straße zu
gehen? -- Was die Vielweiberei der Perser anbelangt,
-- so fürchte ich dieselbe weder für Sappho, noch für
Bartja! -- Er wird seiner Gattin treuer sein als ein Hellene,
denn in Sappho wird er vereint finden, was ihr, Kallias,
einerseits in der Ehe, andrerseits in den Häusern der
gebildeten Hetären *) sucht. Hier Hausfrauen und Mütter,
dort geistig belebte und belebende Gesellschafterinnen. --
Nimm sie hin, mein Sohn; ich übergebe Dir Sappho
vertrauensvoll und gern, wie ein Lehrer dem guten Schü-
ler das Beste, was er besitzt, sein Wissen, mit Freuden
hingibt. -- Jn wie weite Ferne sie auch zieht, wird sie
doch stets Hellenin bleiben und, -- das ist mir ein hoher

*) Siehe I. Theil. Aumerk. 10.

ich bis dahin als ein heiliges, mir anvertrautes Pfand
behütet habe. Betrachte Du Dein Weib in gleicher Weiſe
als einen dargeliehenen Schatz, denn Nichts iſt gefährlicher
für die Liebe, als die behagliche Sicherheit des ausſchließ-
lichen Beſitzes. — Man hat mich getadelt, weil ich das
unerfahrene Kind in die den Frauen ungünſtigen Ver-
hältniſſe Deiner fernen Heimat ziehen laſſe; ich kenne aber
die Liebe und weiß, daß es für eine liebende Jungfrau
kein anderes Vaterland gibt, als das Herz des Mannes,
dem ſie ſich hingibt, daß ein von Eros getroffenes Weib
kein andres Unglück achtet, als das, getrennt von dem
Manne ihrer Wahl leben zu müſſen. Und außerdem frage
ich euch, Kallias und Theopompos, ſind eure Gattinnen
vor denen der Perſer ſo ſehr bevorzugt? — Muß die
joniſche, attiſche Frau nicht, gleich der Perſerin, in den
Weibergemächern ihr Leben verbringen und froh ſein,
wenn man ihr ausnahmsweiſe geſtattet, tiefverſchleiert und
von mißtrauiſchen Sklaven begleitet, über die Straße zu
gehen? — Was die Vielweiberei der Perſer anbelangt,
— ſo fürchte ich dieſelbe weder für Sappho, noch für
Bartja! — Er wird ſeiner Gattin treuer ſein als ein Hellene,
denn in Sappho wird er vereint finden, was ihr, Kallias,
einerſeits in der Ehe, andrerſeits in den Häuſern der
gebildeten Hetären *) ſucht. Hier Hausfrauen und Mütter,
dort geiſtig belebte und belebende Geſellſchafterinnen. —
Nimm ſie hin, mein Sohn; ich übergebe Dir Sappho
vertrauensvoll und gern, wie ein Lehrer dem guten Schü-
ler das Beſte, was er beſitzt, ſein Wiſſen, mit Freuden
hingibt. — Jn wie weite Ferne ſie auch zieht, wird ſie
doch ſtets Hellenin bleiben und, — das iſt mir ein hoher

*) Siehe I. Theil. Aumerk. 10.
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[134/0144] ich bis dahin als ein heiliges, mir anvertrautes Pfand behütet habe. Betrachte Du Dein Weib in gleicher Weiſe als einen dargeliehenen Schatz, denn Nichts iſt gefährlicher für die Liebe, als die behagliche Sicherheit des ausſchließ- lichen Beſitzes. — Man hat mich getadelt, weil ich das unerfahrene Kind in die den Frauen ungünſtigen Ver- hältniſſe Deiner fernen Heimat ziehen laſſe; ich kenne aber die Liebe und weiß, daß es für eine liebende Jungfrau kein anderes Vaterland gibt, als das Herz des Mannes, dem ſie ſich hingibt, daß ein von Eros getroffenes Weib kein andres Unglück achtet, als das, getrennt von dem Manne ihrer Wahl leben zu müſſen. Und außerdem frage ich euch, Kallias und Theopompos, ſind eure Gattinnen vor denen der Perſer ſo ſehr bevorzugt? — Muß die joniſche, attiſche Frau nicht, gleich der Perſerin, in den Weibergemächern ihr Leben verbringen und froh ſein, wenn man ihr ausnahmsweiſe geſtattet, tiefverſchleiert und von mißtrauiſchen Sklaven begleitet, über die Straße zu gehen? — Was die Vielweiberei der Perſer anbelangt, — ſo fürchte ich dieſelbe weder für Sappho, noch für Bartja! — Er wird ſeiner Gattin treuer ſein als ein Hellene, denn in Sappho wird er vereint finden, was ihr, Kallias, einerſeits in der Ehe, andrerſeits in den Häuſern der gebildeten Hetären *) ſucht. Hier Hausfrauen und Mütter, dort geiſtig belebte und belebende Geſellſchafterinnen. — Nimm ſie hin, mein Sohn; ich übergebe Dir Sappho vertrauensvoll und gern, wie ein Lehrer dem guten Schü- ler das Beſte, was er beſitzt, ſein Wiſſen, mit Freuden hingibt. — Jn wie weite Ferne ſie auch zieht, wird ſie doch ſtets Hellenin bleiben und, — das iſt mir ein hoher *) Siehe I. Theil. Aumerk. 10.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/144>, abgerufen am 27.11.2024.